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The Notwist – Die Band aus Weilheim zieht die Superlative quasi magnetisch an. (Foto: Gerald von Foris)

Album der Woche: The Notwist – Close To The Glass

100 Tage haben The Notwist für ihr neues Album im Studio gestanden, gebastelt, ausprobiert und weggeworfen. Die Arbeit hat sich rentiert. „Close To The Glass“ ist eine Art Mixtape, ein Best-Of aus 27 Jahren The Notwist.

Album der Woche: The Notwist – Close To The Glass 06:50

Close To The Glass dürfte für viele eingefleischte Notwist-Fans eine ziemlich Überraschung sein. Endlich sind sie wieder da – nur: Wo wollen sie hin?

Mit jedem neuen Song auf Close To The Glass macht die Musik einen riesen Sprung: Von kaltem Minimal-Elektro hin zur sanften Gitarre, über 90er Jahre Indierock bis zum verschwurbelten Instrumental. The Notwist als Meister der Verwandlung – das ist das Konzept von Close To The Glass.

Bei dieser Platte haben wir gar nicht mehr versucht einen einheitlichen Stil zu finden bzw. festgelegt, dass in jedem Stück alles mal ein bisschen vorkommen muss: immer ein bisschen Elektronik, immer ein bisschen Band, immer ein bisschen folky Gitarren oder irgend so etwas – sondern wir haben uns halt gedacht, wir machen das Stück einfach so, wie wir denken, dass es cool ist. Auch wenn es dann einfach nur nach Indiegitarren klingt.

„Einfach nur nach Indiegitarren“ – Sänger Markus Acher sagt das, als müsse er sich dafür entschuldigen. Dabei hat zum Beispiel die aktuelle Single Kong alles, was es braucht, ein Indie-Hit zu werden. Trotzdem ist der überwiegende Teil des Albums elektronisch durchzogen. Und das ist kein Zufall: Im Proberaum im bayerischen Weilheim stapeln sich die Soundgeräte, Stecker, Kabel und Synthesizer.

Man kann sich das so vorstellen wie eine riesige Schrankwand mit ganz vielen Knöpfen und Steckern, wo immer verschiedenste Module, also Elemente, miteinander verbunden werden. Dann entsteht so eine Art Monster, was für sich selbst arbeitet und man eigentlich nicht mehr so richtig kontrollieren kann, was da hinten rauskommt. Man schickt vorne irgendwas rein – eine Gitarre oder ein Schlagzeug – und hinten kommt was total Komisches raus.

The Notwist entdecken den Science-Fiction-Sound

Close To The Glass – das Stück, das der Platte ihren Namen gibt, hat genau so einen Science-Fiction-Sound, den man bisher von The Notwist kaum kannte. Kalte, maschinelle Töne piepen und pumpen, getrieben von entfesseltem, seelenlosem Händeklatschen.

Dadurch entsteht so eine Zeitlosigkeit, die eigentlich extrem befreiend ist. Das hat sich fortgeführt durch die ganze Arbeitsweise. Wir spielen viele Instrumente akustisch, aber sie klingen wie ein elektronisches Instrument. Viele gespielte Sachen sind eigentlich von Platten gesamplet. Dann wiederum elektronische Sachen klingen plötzlich wie ein Percussioninstrument. Es ist so, dass wir zum Schluss teilweise selber nicht mehr wussten, was kommt woher, was ist die Quelle davon?

Neben all der Elektronik und den jubelnden Indiegitarren gibt es aber auch noch das komplette Gegenteil: Casino – das Stück, das wahrscheinlich am ehesten an das Notwist-Überalbum Neon Golden erinnert, ist ganz weich und sanftmütig. Dazu singt Acher von traurigen Gestalten vor funkelnden Spielautomaten.

There’s something wrong you don’t tell me / There’s something wrong with me.

Ist einer jener Sätze, die einen beim Zuhören traurig machen. Die Würfel, die ins Nichts rollen, das leere Portemonnaie, die Einsamkeit in der Spielhölle – kann das das gute Leben sein?

Leichtigkeit ist die neue Devise

Anders als beim letzten Album beschäftigen Notwist sich auf der neuen Platte aber kaum mit den schweren Themen. Während The Devil, You And Me unter Tod, Liebe und Einsamkeit ächzte, wirkt Close To The Glass textlich angenehm befreit. Das war durchaus gewollt.

Bei der Platte hatte ich Lust weniger Text zu haben, als sonst. Gleichzeitig soll jeder Text oder jedes Stück für sich aber auch eine Geschichte erzählen, die ich mir so filmisch oder wie aus einem Buch vorgestellt habe. Als ob man ein Kapitel in einem Roman aufschlägt und da so rein liest. Man weiß vielleicht die Vorgeschichte nicht genau, kann sie sich aber denken. Man weiß nicht, wie es weitergeht. Man ist plötzlich so mittendrin und da erzählt eine Person einen Teil von ihrem Leben oder einen Teil von der Begebenheit, die sich da grad abspielt

100 Tage haben The Notwist für Close To The Glass im Studio gestanden, gebastelt, ausprobiert, weggeworfen. Entstanden ist eine Art Mixtape, ein Best-Of aus 27 Jahren The Notwist. Run Run Run klingt wie ein Spaziergang auf dünnem Eis, brüchig und vorsichtig. 7-Hour Drive, das Stück über eine Fernbeziehung, fischt bei schrammeligem 90er Jahre Indie à la My Bloody Valentine und das finale, 9 Minuten lange Instrumental Linerie wabert verschroben vor sich hin, bis sich all die elektronischen Klang- und Nebelschwaden zu einem breiten Sound verflechten.

Wenn all das nach 50 Minuten vorbei ist, weiß man immer noch nicht, wo Notwist mit Close To The Glass nun hinwollen. Aber eigentlich ist das auch gar nicht so wichtig. In einer Zeit, in der Musik ständig verfügbar ist und in der Smartphones gleichzeitig gefüllt sind mit Lady Gaga, Tocotronic, den Shins und den Ramones, muss auch eine Band wie The Notwist nicht mehr aus einem Guss sein. Da klingen Akustikgitarren wie Elektroniksamples, da steht Fremdes gleichberechtig nebeneinander und Indie wird zu Minimal wird zu Dubstep. The Notwist beherrschen die Übergänge perfekt und das ist es auch, was all die Superlative um diese große Band berechtigt macht.

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