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Saitenwechsel: Warum wir ins Konzert gehen

Auf der Suche nach einem Live-Erlebnis

Warum gehen Menschen ins Konzert? Die Antwort könnte denkbar einfach sein: Musik hören! Ganz so glasklar ist das 2013 aber nicht mehr. Musik umgibt uns. Immer und überall. Musik ist in der Cloud, raum- und zeitlos, und regnet unaufhörlich auf unsere Endgeräte hinab. Warum also der mühsame Weg ins Konzerthaus? Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Warum gehen Menschen ins Konzert? Die Antwort könnte denkbar einfach sein: Musik hören! Ganz so glasklar ist das 2013 aber nicht mehr. Musik umgibt uns. Immer und überall. Musik ist in der Cloud, raum- und zeitlos, und regnet unaufhörlich auf unsere Endgeräte hinab. Ich finde das ja super, weil es so wahnsinnig praktisch ist. Aber gerade dieser Umstand schreit doch geradezu nach etwas, das sich eben nicht so einfach und endlos reproduzieren lässt!

Nehmen wir also das Konzert. Ein unwiederholbarer Moment, den ein paar Menschen in einem Raum miteinander teilen. Das Abonnement-Publikum des Gewandhauses tut das regelmäßig. Deswegen spreche ich sowohl mit dem ältesten Besucher.

Dr. Wolfgang Dietrich, Jahrgang 1929. Inzwischen also 83 Jahre alt, Zeit vergeht eben. Ich bin seit 58 Jahren, also seit ich beruflich nach Leipzig gekommen bin, in einem Abonnement des Gewandhauses.

…als auch mit der jüngsten Konzertgängerin.

Hallo, hier ist Luise Ziegler.

Luise Ziegler ist acht Jahre und somit deutlich unter dem Altersdurchschnitt des Abo-Publikums. Aber egal ob jung oder alt. In ihrer Faszination für Konzerte sind sich beide ziemlich einig.

Große Melodien, von forte bis piano. Das hat mich immer sehr begeistert und mich für diese Art von Musik sehr eingenommen. (Wolfgang Dietrich)

Wenn man die Musik dann anhört, fühlt es sich so an, dass ich irgendwie im Traum bin. Die Musik ist so schön, finde ich! (Luise Ziegler)

Der zunehmende Wunsch nach Authentizität

Scheinbar erleben wir gerade tatsächlich eine neue Sehnsucht nach Livemusik. Das bestätigt mir auch Kulturforscherin Susanne Keuchel.

Susanne Keuchel - Geschäftsführerin des Zentrums für Kulturforschung

Geschäftsführerin des Zentrums für Kulturforschung
Seit 2004 haben wir einen erstmals wieder spannenden Zuwachs, allerdings vor allem bei den älteren Bevölkerungsgruppen. Das sind vor allem die 60-jährigen und Älteren und bezieht sich vor allem auf Bevölkerungsgruppen, die vorher nicht ins Konzert gegangen sind. Wir vermuten, dass die Öffnung von Kultureinrichtungen in den letzten Jahren zu neueren Formaten, Last-Minute-Angeboten oder auch Crossover mit dafür verantwortlich sind, dass dieser Zuwachs erzielt wurde.Susanne Keuchel

Klar, wer sich für neue Darstellungsformen und Konzertideen öffnet, gewinnt auch neues Publikum. Es gibt laut Keuchel aber noch einen anderen Grund, warum wieder mehr Leute ins Konzert gehen:

Der zunehmende Wunsch nach Authentizität, nach Erlebnis des Originals. Das entspricht der Entwicklung einer zunehmenden Virtualität. Möglicherweise gleicht man das bewusst aus, indem das Erlebnis, das Authentische, die Begegnung mit Künstlern einen zunehmenden Stellenwert gewinnt.

Erfahrungen machen glücklicher als Besitztümer

Es ist nun mal irgendwie greifbarer, wenn man dem Orchester in echt zusieht. Die Schönheit und Wucht von Musik hat ja immer auch etwas Körperliches. Da kann ich die Heimanlage noch so laut aufdrehen. Und außerdem macht so ein Live-Erlebnis auch glücklich. Und zwar glücklicher als irgendwelche Besitztümer, von denen man ja eigentlich viel länger etwas hat, als von eins, zwei Stunden im Konzert sitzen. Der Glücksforscher Bruno Frey sagt: Die Zufriedenheit im Leben hängt nicht nur von materiellen Dingen ab.

Wenn man zum Beispiel eine neue Wohnung kauft, dann erwartet man, dass das einen unheimlich zufrieden und glücklich macht, aber man gewöhnt sich relativ rasch daran. Das ist etwas ganz anderes, wenn man in ein Konzert oder auch eine Kunstaustellung geht. Das ist immer wieder ein neues Erlebnis, das neue Freude schafft.

Und hört man dem Konzertgänger Wolfgang Dietrich so zu, wird klar: Dieses Glücksgefühl überträgt sich auch auf andere Lebensbereiche.

Ich war in der Forschung und Entwicklung im Kohle- und Energiebereich. Da brauchte ich auch immer Anregungen. Da haben mir die Gewandhauskonzerte sehr viel gegeben, weil mir dann Sachen einfielen, die mir sonst vielleicht nicht eingefallen wären. Das war eine günstige Symbiose.

Das Konzertpublikum will überrascht werden, aber nicht zu sehr

Aber kann man diese Symbiose nicht auch ein bisschen zu Hause erzeugen? Schließlich gibt es doch CDs und DVDs mit Liveaufnahmen in Topqualität.

Bruno S. Frey - Wirtschaftswissenschaftler und Glücksforscher

Wirtschaftswissenschaftler und Glücksforscher
Es ist wichtig, dass man Überraschungen erlebt. Und das möchten die Menschen auch. Wenn man zu Hause die DVD einlegt, weiß man ja was kommen wird. In einer Konzertaufführung gibt es immer wieder neues. Wenn das nicht übertrieben ist, also wenn man einigermaßen weiß, was einen erwartet, dann ist das ein höheres Glücksgefühl als wenn das selbstgesteuert ist. Man möchte von außen eine neue Anregung empfangen.Bruno S. Frey

Neue Anregung ja – aber bitte in Maßen, sagt Frey. Denn wenn in einem Konzert nur die mordernste Musik gespielt wird, sind die Leute auch nicht zufrieden. Und wer könnte Kritik ehrlicher äußern als die jüngste im Publikum, Luise Ziegler:

 Naja, ich habe schon mal ein Konzert gehört, da war bei einem Stück so eine Geige dabei und die hat manchmal voll gequietscht. Das fand ich nicht so toll.

Na klar, wenn ich zum Rockkonzert gehe, will ich auch nicht nur die Songs von der neuen Platte hören, sondern auch ein paar alte Hits. Aber davon gibt’s ja im Klassik-Konzert meistens genug.

Das Wir-Gefühl im Konzertsaal

Abgesehen vom musikalischen Genuss und dem unwiederholbaren Augenblick gibt es laut Bruno Frey aber noch einen weiteren Grund, warum wir ins Konzert gehen.

Die anderen Besucher. Beim klassischen Konzert trifft man oft auch Bekannte oder Menschen, die eine ähnliche Einstellung haben, mit denen redet man dann. Dieses soziale Element hat man zu Hause beim Hören einer Aufnahme in der eigenen Wohnung natürlich nicht. Viele Menschen gehen ja auch gemeinsam mit Freunden Musik hören in ein Konzert.

Und auch dieser Punkt lässt sich in meiner kleinen Feldanalyse bestätigen. Ob jung oder alt: Man trifft sich im Konzerthaus und hat sich was zu erzählen.

Mit einem Kollegen aus dem Rechenzentrum haben wir die ganzen Jahre praktisch in einer Reihe gesessen. Wir haben uns dann immer gegrüßt und geredet. (Wolfgang Dietrich)

Meine Freundin Elisabeth sagt, dass es ganz schön ist. Sie geht ja auch ins Konzert. Und dann finden das meine Klassenkameraden auch ganz schön, wenn ich davon erzähle. (Luise Ziegler)

Erlebt das Konzert eine Renaissance?

Bleibt die Frage, wie es um die Zukunft des Konzerts steht: Vielleicht wird es irgendwann nur noch virtuell stattfinden, vielleicht erlebt es aber auch seine Renaissance. Kulturforscherin Susanne Keuchel hat mal über die Ländergrenzen nach Asien geschaut, und kann das dort mitunter schon beobachten.

In China beispielsweise ist es zurzeit Chopin, der wahnsinnig gefragt ist bei jungen Leuten und der wie ein Popstar ganze Konzerthallen füllt. Junge Bevölkerungsgruppen können da einzelne Passagen der Chopin-Konzerte mitrezitieren und mitsummen.

Und selbst die ganz jungen Bevölkerungsgruppen wird das freuen, denn das Lieblingsinstrument von Luise Ziegler ist ganz klar das…

Klavier. Na weil man da unterschiedliche Stücke spielen kann. Das kann man bei den anderen ja auch, aber da geht das noch ein bisschen besser, finde ich.

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