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Thementag Friedliche Revolution | Botschaftsflüchtlinge in Warschau

Ulrike, 26, Status: Flüchtling

Im Herbst 1989 fliehen tausende DDR-Bürger über die Botschaften der BRD in Prag und Warschau in den Westen. Darunter auch die 26-jährige Dolmetscherin Ulrike und ihr einjähriger Sohn Alexander. 25 Jahre später ist er Journalist und gemeinsam bereisen sie noch einmal ihre alte Fluchtroute. Ein Radio-Feature.

Nicht mehr zurück ins „Gefängnis“

Warschau 1989: Eigentlich will Ulrike Hertel nur einige Freunde besuchen. Doch in der Stadt herrscht Aufruhr. Im Stadtteil Saska Kempa verstopfen hunderte verlassener Trabanten die Straßen. Ihre Besitzer haben die Fahrzeuge einfach stehen lassen und sind zu Fuß weiter geeilt. Ihr Ziel: Die Botschaft der Bundesrepublik und die Ausreise in den Westen. Bereits einige Tage zuvor waren 6.000 Flüchtlinge aus Warschau und Prag mit Sonderzügen ausgereist. Mehrere Tage beobachtet die junge Dolmetscherin das Treiben. Dann schließt die DDR-Führung die Grenzen – und Ulrike entschließt sich, ebenfalls zu fliehen.

Gefragte Gesprächspartnerin - auch polnische Journalisten interessierten sich für Ulrikes Fluchtgeschichte. Foto: A. Hertel

auch polnische Journalisten interessierten sich für Ulrikes Fluchtgeschichte. Foto: A. Hertel
Gefragte Gesprächspartnerin

Reise durch die eigene Geschichte

Damals ist ihr Sohn Alexander 14 Monate alt. Von ihrer Flucht weiß er natürlich kaum etwas. Was genau geschah also in diesem Herbst 1989 in Warschau? Wie ging es seiner Mutter, die ihr ganzes Leben hinter sich ließ und in ein neues Land und eine ungewisse Zukunft floh? Welchen Einfluss hat ihre Geschichte auf sein Leben?

Mit diesen Fragen im Kopf und dem Aufnahmegerät in der Hand reisen Alexander und Ulrike im Herbst 2014 noch einmal durch ihre gemeinsame Geschichte. Aus Weimar über ihren damaligen Wohnort nahe Berlin, Warschau und die Botschaft nach Niedersachen und wieder zurück. Dabei sprechen sie über die Flucht, treffen Zeitzeugen und reflektieren über die Verbindungen zwischen ihren Geschichten.

Das daraus entstandene und von der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit mitfinanzierte Radio-Feature hören Sie hier.

Fröhlicher Flüchtling - Autor Alexander Hertel in der provisorischen Flüchtlings-Unterkunft nahe Warschau im Oktober 1989. Foto: privat

Autor Alexander Hertel in der provisorischen Flüchtlings-Unterkunft nahe Warschau im Oktober 1989. Foto: privat
Fröhlicher Flüchtling
Ulrike, 26, Status: Flüchtling – Ein Feature 44:01

Hintergrund – die Botschaftsflüchtlinge von Warschau

Die Vergessenen von Warschau

“Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise…” – Der Rest geht im Jubel unter, als der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher am Abend des 30. September 1989 auf dem Balkon der BRD-Botschaft in Prag verkündet, dass alle DDR-Bürger, die seit Wochen dort ausharrten nach Westdeutschland ausreisen dürfen.

https://www.youtube.com/watch?v=Ov9IHjX8UF4

Etwa 600 Kilometer nordöstlich von Prag, in Warschau erklärt sein Staatssekretär Jürgen Sudhoff an diesem Abend dasselbe. Denn auch in der polnischen Hauptstadt suchten circa 6.000 Menschen im Spätsommer 1989 in der BRD-Botschaft Zuflucht.

Flüchtlingsmassen in Notunterkünften

Bereits Anfang August 1989 werden die ersten DDR-Bürger in der Warschauer Botschaft vorstellig. Schnell folgen hunderte Landsleute und bringen den Botschaftsbetrieb zum Erliegen. Mithilfe des polnischen und des deutschen Roten Kreuzes werden die Flüchtlinge in provisorischen Notunterkünften untergebracht und versorgt. Ende September sind es 28 Orte, in denen 6.000 Menschen leben und auf ihre Ausreise hoffen.

Jubiläumstreffen in Warschau - Flüchtlinge, Helfer und Diplomaten bei der Enthüllung einer Gedenktafel vor der ehemaligen BRD-Botschaft in Warschau. Darunter der damalige Botschafter Johannes Spieß (links), Staatssekretär Jürgen Sudhoff (2.v.l.) und DDR-Flüchtling Cornelia Eggert (2.v.r.). Foto: Alexander Hertel

Flüchtlinge, Helfer und Diplomaten bei der Enthüllung einer Gedenktafel vor der ehemaligen BRD-Botschaft in Warschau. Darunter der damalige Botschafter Johannes Spieß (links), Staatssekretär Jürgen Sudhoff (2.v.l.) und DDR-Flüchtling Cornelia Eggert (2.v.r.). Foto: Alexander Hertel
Jubiläumstreffen in Warschau

Betonköpfe und Revolutionäre

So verhandelt in den letzten Septembertagen1989 eine Delegation des Außenministeriums der BRD fieberhaft mit den Regierungen der beiden Ostblock-Länder. Doch während Chefunterhändler Jürgen Sudhoff in Prag auf “Betonköpfe” traf, die den Sturz des eigenen Regimes befürchteten, erkannten die Polen die historische Gelegenheit. Im Juni hatte das Land als erster Staat des Ostblocks ein demokratisches Parlament gewählt. Vorausgegangen waren fast zehn Jahre revolutionärer Entwicklungen in Polen: Die Gründung der ersten freien Gewerkschaft “Solidarnosc” 1980, der Kriegszustand 1981/82 und ein runder Tisch, der der Demokratiserung im Jahr 1989 vorausging und Vorbild für den runden Tisch in der DDR gewesen ist.

Sonderzug in die Ungewissheit

So ist es auch Polens Inititative, die dafür sorgt, dass Genscher mit der sowjetischen Führung die Ausreise aller 12.000 Flüchtlinge aus den Botschaften in Prag und Warschau aushandeln kann. Bereits in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1989 fahren die ersten versiegelten Sonderzüge in den Westen. Die DDR-Führung versucht zwar, das soweit wie möglich zu vertuschen, doch am Morgen stehen bereits zehntausende DDR-Bürger an den Gleisen. Am Vormittag erreichen dann mehrere hundert DDR-Bürger die BRD. Viele Flüchtlinge sollen noch folgen bis wenige Wochen später die Mauer fällt. Und so wird der 30. September 1989 zu einem der Wendepunkte auf dem Weg zur Friedlichen Revolution und zum später wiedervereinten Deutschland.

Alexander Hertel hat in Warschau ehemalige Flüchtlinge, Helfer und Diplomaten getroffen. Ihre Geschichte hören Sie hier:

Warschau und die DDR-Fluechtlinge 1989 10:56

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