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Serie “China im 21. Jahrhundert” – Made in China: Chinesische Kultur und Lebensverständnis

Expansion in Fernost, Exportweltmeister Fernost, Spielemacher Fernost – die heimischen Titel über Nachrichten aus China könnten nicht besser beschreiben, was schon lange tief im westlichen Verständnis verankert ist.

China, der Wirtschaftsriese, die Supermacht im 21. Jahrhundert könnte uns wohl kaum fremder, ferner sein. Woran das liegt, das wollen wir in unserer Themenwoche über China heute betrachten. Doch zunächst eine kleine Einführung:

China im 21. Jh. – Teil 2 – Die Fakten 01:05

 


In Ausgabe2 unserer Wochenserie geht es heute also um Ausbildung, Mentalität und Kultur. Den harten Drill chinesischer Eltern, die umständliche Indirektheit der Chinesen und ihren ausgeprägten Sinn für Hierarchie verstehen wir oft nicht. Warum aber? Wie ticken die Chinesen? Franziska Hendreschke hat sich in unserer Reihe über China heute mit Fragen rund um chinesische Kultur und Lebensverständnis befasst:

China im 21. Jh. – Teil 2 – Mentalität und Lebensverständnis 09:40

 

Der komplette Audio-Beitrag zum Nachlesen:

639 Medaillen heimsten Chinas Sportler bei den Olympischen Spielen 2008 im eigenen Land ein. Genug um die Konkurrenz weit hinter sich zu lassen. Genug um der Welt ein Bild Chinas zu präsentieren, das vor Kraft und Erfolg nur so strotzt. Ein Bild, das den Drill in Perfektion zeigt.

Aber vielleicht auch ein Bild, das Europäer nutzen würden, um die Volksrepublik zu beschreiben. Nicht selten wird dabei die Jahrtausende alte Geschichte vergessen, auf der die chinesische Kultur fußt, wie der Chinese Ming Cheng erklärt. 2001 kam er zum Studieren nach Deutschland und blieb seiner Wahlheimat treu. Heute arbeitet er als Interkultureller Trainer und hilft deutschen Unternehmern die chinesischen Eigenheiten zu verstehen:

Was wir sehen, ist nur die Bergspitze. Darunter gibt es auch einen Rumpf, der ist viel größer. Das heißt, der Unterschied, der sichtbar ist, ist sehr klein, im Vergleich zu dem unsichtbaren Hintergrund der Kulturen. Das sind Glaubenssätze, die seit 2000 Jahren unterschiedlich geprägt sind. Das heißt die Europäer und dann die hedonistische Welt und dann später das Römische Reich und Deutschland und so weiter und sofort und das chinesische Reich sind unterschiedliche Wege gegangen.

Das europäische Lebensverständnis gründe vor allem auf der Suche nach der einen, „wahren“ Gottheit, auf der Frage nach dem „richtig“ und „falsch“. Die chinesische Kultur hingegen ging ganz andere Wege. Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus entstand in China der Konfuzianismus. Die Lehren des Konfuzius gelten noch heute als Inbegriff chinesischer Kultur.

Doch anders als bei den theologischen Schulen in Europa stand im Konfuzianismus nicht die Schaffung neuer Werte, sondern vielmehr deren Tradition im Vordergrund. Konfuzius selbst brachte den Kern der Lehre auf den Punkt:

Ich übermittle, aber ich schaffe nichts Neues. Ich glaube an das Alte und liebe es.

Tugenden, soziale Pflichten, hierarchische Beziehungen – das starre Festhalten an der Tradition ermöglichte den Chinesen über 2000 Jahre mit kleineren und größeren Einschnitten ein geordnetes, strukturiertes Leben.

Gleichzeitig geriet aber auch eine Eigenschaft ins Hintertreffen, die für die westliche Entwicklung essentiell war: nämlich zu Hinterfragen. Für Ming Cheng liegt hierin ein wesentlicher Grund für die Missverständnisse zwischen den Kulturen:

Ich denke, dass ist der grundsätzliche Unterschied zwischen europäischem Geist und chinesischem: nämlich Hinterfragen was neu ist. Ist ein Konflikt geduldet, als Chance gesehen oder Konflikte als unharmonische Faktoren, die man sofort beseitigen muss.

Während die Kunst der Argumentation in Europa tiefe Wurzeln hat, kam und kommt es in China vor allem auf korrektes Auswendiglernen an. Anwärter für eine Beamtenstelle müssen beispielsweise alle Bücher des Konfuzius 1 zu 1 wiedergeben können.

Kreativität und Vielfalt bleiben dabei oft auf der Strecke. Das weiß auch Nanan Zhou. Der gebürtige Chinese kam mit 13 Jahren nach Deutschland. Er kennt sowohl den chinesischen Drill als auch die laissez-faire-Erziehung an deutschen Schulen. Und sein Fazit ist eindeutig:

Da hat man im Vergleich zu den Kindern hier keine richtige Kindheit, zumindest nicht das was man sich nach europäischen Werten unter einer Kindheit vorstellt. Die ganze Ausbildung ist sehr auf Disziplin und Gehorsam ausgelegt und so eine Art gesellschaftliche Ordnung, die auch durch das Bildungssystem vermittelt wird. Damit man den Vorgesetzten oder den Eltern oder den Ranghöheren gegenüber auch Gehorsam zeigt. Ich denke, dass ist mehr oder weniger auch von der Regierung gewollt, wie das Schulsystem und auch die Inhalte des Ausbildungssystems ausgelegt ist, damit man auch später der brave Bürger ist und bloß nicht auf den doofen Gedanken kommt, sich gegen das Regime aufzulehnen.

In China besuchte Nanan Zhou eine der zehn besten Schulen des Landes. Ein Internat – und für ihn der Inbegriff des Paradieses. Denn hier war er nicht der ständigen Kontrolle seiner Mutter ausgesetzt, konnte sich seinen Tag frei einteilen. Mehr oder weniger – denn auch hier dauerte der Schultag, mit einigen Unterbrechungen, von 7.30 Uhr morgens bis 8 Uhr abends. Er konnte Hobbys frönen – zumindest wenn sie leistungsorientiert waren.

{info_1} Sportarten zum Beispiel sind in China gern gesehen. Wer hier frühzeitig herausragende Leistungen erbringt, hat später eine gute Chance auf einen Studienplatz. Das chinesische Kinder schon im zartesten Alter zu Höchstleistungen getriezt werden, hat zwei simple Gründe: die rigide Ein-Kind-Politik und das mangelnde Rentensystem.

Für chinesische Eltern ist das eigene Kind eine Art Lebensversicherung. In diese Versicherung zahlt man ein: mit Geld, Ansporn und Drill. Denn nur so besteht die Möglichkeit, dass der Spross später einen guten Job bekommt, mit dem er die Familie versorgen kann. Doch diese Art der Erziehung birgt zahlreiche Herausforderungen, glaubt Nanan Zhou:

Zum einen besteht die Gefahr darin, dass man jetzt Leute ausbildet, die nicht mehr in der Lage sind, eigenständig oder konzeptionell zu arbeiten. Also das gesamte Ausbildungssystem ist sehr gut organisiert – das muss man positiver Weise sagen – aber andererseits ist es auch sehr verschult, es wird sehr viel Wert auf Auswendiglernen gelegt. Und die zweite Herausforderung sehe ich darin aus einer Generation von Individualisten – sage ich mal – einen Teamplayer zu formieren.

Gerade mal 20 Prozent der chinesischen Hochschulabgänger seien gut genug um in internationalen Unternehmen Fuß zu fassen, meint Nanan Zhou, der heute selbst an der Universität Köln lehrt. Doch auch wenn sich die äußeren Rahmenbedingungen ändern würden, wenn man die Ein-Kind-Politik entschärfen und ein umfassendes staatliches Rentensystem schaffen würde, müsste man wohl lange auf eine Veränderung im Schul- und Erziehungssystem warten.

Der Drill, so Zhou, sei nun mal von Generation zu Generation weitergegeben worden und daher tief verankert im chinesischen Bewusstsein. Ein bisschen Drill, findet der gebürtige Chinese, schade vielleicht auch gar nicht:

Wenn es überhaupt einen goldenen Weg gibt, wäre es, dass man ein geeignetes Maß findet zwischen Drill und einer laissez-faire-Erziehung. Es gibt bestimmte Bereiche wo der Drill wirklich helfen könnte. Also um die Zeichen zu beherrschen geht es, aus meiner Sicht, nicht ohne Drill. Aber ab einem bestimmten Alter hilft der Drill eventuell auch nicht mehr. Also dann sollte man wieder andere Sachen mehr fördern, wie das eigenständige Denken, die eigenständige Arbeitsweise. Damit man später auch in der Lage ist, wenn man im Berufsleben ist oder an der Uni, seinen eigenen Arbeitslauf selbst zu strukturieren. Da hilft der Drill zum Beispiel nicht mehr.

Der goldene Mittelweg, das Gleichgewicht der Kräfte – es ist der chinesischen Kultur eigentlich nicht fremd. Der Grundgedanke der Harmonie ist tief verankert im Ying-Yang-Denken, im Konfuzianismus und auch im Buddhismus. Und er bedingt auch die chinesische Indirektheit, die auf uns Europäer vor allem verwirrend wirkt. Selbst wenn es Interkultur-Trainer Ming Cheng erklärt:

Gedacht ist nicht gesagt – und gesagt wird auch nicht so verstanden.

Der Chinese kritisiert nie direkt, denn die Kritik würde für sein Gegenüber einem Gesichtsverlust gleichkommen. Eine beliebte Technik ist daher das sogenannte „Schattenschießen“. Dabei wird die Kritik nicht gegen den eigentlichen Adressaten, sondern gegen eine andere Person gerichtet.

So indirekt Chinesen kritisieren, so direkt sind sie auch, wenn es um – nach westlichem Verständnis – sensible Themen geht. Die Frage nach dem Gehalt, die in Deutschland schon zur Kündigung führen könnte, stellt der Chinese eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen. Doch was man leicht als bloße Neugier abstempeln könnte, ist tatsächlich ein wesentliches Werkzeug im chinesischen Hierarchiesystem. Ming Cheng:

Die Chinesen denken, dass dieses System auch im Ausland funktioniert. Weil der deutsche Partner fremd ist, möchte ich mir ein Bild von ihm machen. Da möchte ich wissen, was für ein Auto er fährt, welches Gehalt er bekommt, welche Position diese Firma hat, damit ich mir überhaupt ein Bild von ihm machen kann, damit ich auch weiß, ob er überhaupt was zu sagen hat. Wenn ich mit ihm seit zwei Monaten verhandle und dann stelle ich fest, der hat nicht einmal einen Dienstwagen – das geht ja gar nicht. Deswegen möchte man von vornherein wissen, was für eine Position der hat.

Solche Intimitäten werden in China am liebsten beim Essen besprochen. Die Chinesen sind außerordentlich gastfreundlich. Die Bewirtung ist üppig, die Stimmung fröhlich und ausgelassen. Aber dieselben Chinesen, die eben noch in aller Höflichkeit das Essen gereicht haben, können im nächsten Augenblick drängelnd und schimpfend durch die Straßen der chinesischem Großstädte ziehen, wie Ming Cheng weiß:

Konfuzius hat ein paar Prinzipien erstellt, die Zwischenmenschlichkeit regeln – zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Sohn, zwischen Untertan und Herrscher und zwischen Freunden. Aber dummerweise hat er vergessen, einen Satz dazu zu sagen, nämlich wie man mit Fremden umgeht. Ich muss unterscheiden: Inside-Gruppe und Out-Gruppe. Wenn man innerhalb einer Gruppe ist, nimmt man Rücksicht aufeinander, hilft einander, aber wenn jemand kein Gruppenmitglied ist, kann er schon mal hart angegangen werden.

Die chinesische Gesellschaft habe dieses Problem erkannt, meint Ming Cheng. Zukünftig wolle man soziales Engagement und Ehrenämter beleben. Und vielleicht werden konfuzianische Tugenden dann auch im öffentlichen Leben gepflegt.
Jede Art, so eigen sie auch sei, hat in China lange Tradition. Der Versuch sie zu verändern wirkt vielleicht wie ein aussichtsloses Unterfangen, der Versuch sie zu verstehen gar nicht mal so schwierig.

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