Armut in Deutschland

„Mehr Nüchternheit und Faktentreue!“

In regelmäßigen Abständen werden neue Statistiken über Armut veröffentlicht, die meist für Empörungswellen sorgen. Doch inwiefern sind die Zahlen glaubhaft? Das verrät der Autor des Buches „Armut in Deutschland“:

Die Armutsrisiko-Quote in Deutschland ist im letzten Jahr nach Information des Statistischen Bundesamtes auf 15,7 Prozent gestiegen. Betroffen sind vor allem Menschen aus Bremen und Berlin. In den neuen Bundesländern hingegen sei die Zahl etwas gesunken. Das ist dennoch kein Grund zum Jubeln:  Für ganz Deutschland ist die Armutsquote so hoch wie niemals zuvor seit der Wiedervereinigung.

Statistiken über Armut

Prof. Dr. Georg Cremer ist Generalsekretär des Caritasverbands. In seinem neuen Buch „Armut in Deutschland“ hat er sich mit der Spaltung in der Gesellschaft und den Grenzen des Sozialstaats auseinandergesetzt. Ihm ist es ein besonderes Anliegen, vor falschen Zahlen und Fehlinterpretationen zu warnen. Statistiken erscheinen uns oft als wahr, dabei können sie durch eine falsche Darstellungsweise der Daten oder durch fehlende Informationen den Betrachter in seiner Wahrnehmung manipulieren und einen falschen Eindruck erwecken.

Cremer führt dabei als Beispiel die Erfassung der Armut bei den 18- bis 24-Jährigen an. Die Armutsgrenze beträgt weniger als 917 Euro bei Ein-Personen-Haushalten. Darunter fallen auch Auszubildende und Studierende. Diese zu „den Armen“ zu rechnen, ist seiner Meinung nach „absurd“. Viel mehr sollte der Fokus auf Personen gerichtet werden, die keine Ausbildung haben und keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Pfleger ohne Tarifverträge zum Beispiel, die tatsächlich zu der gefährdeten Armutsgruppe gehören, tauchen gar nicht in der Statistik auf.

Ich finde, wir sollten weniger auf Statistiken schauen, sondern viel mehr über Risikogruppen reden und darüber, wie wir handeln können. – Prof. Dr. Georg Cremer, Generalsekretär des Caritasverbands

„Die Armutsdebatte hilft den Armen nicht“

Cremer interessiert sich vor allem für die Art und Weise, wie in der Politik und in der Gesellschaft über Armut gesprochen wird. Vieles an der Debatte sei widersprüchlich. Es ist falsch, die sozialen Missstände anhand der Sozialhilfe zu messen. Dadurch wird die Lage unnötig dramatisiert, denn Deutschlands Wirtschaft sei stabil. Solche Überspitzungen würden nur Populisten in die Hände spielen.

Was bedeutet Armut und wie hat sie sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt? Darüber hat detektor.fm-Moderatorin Anna Corves mit Professor Dr. Georg Cremer gesprochen. Er ist Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes e.V.

Es geht mir weniger um eine Kritik der Statistik, sondern um eine Kritik der Interpretation.Prof. Dr. Georg Cremer Foto: DCV/Anke Jacob 

Redaktion: Linh Pham

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