Die Geschichte der Montagsdemonstrationen

Das totalitäre System der DDR ist im Herbst 1989 innerhalb weniger Wochen in sich zusammengebrochen. Die friedliche Revolution im Herbst 1989 begann nach dem Sommer mit der ersten Montagsdemonstration vor der Leipziger Nikolaikirche am 4.9.1989. Ein Rückblick.

Seit 1986 werden die Leipziger Friedensgebete unter der Leitung von Christoph Wonneberger immer politischer. Ausreisewillige, politische Arbeitsgruppen, Menschrechtler – sie alle nutzen den innerkirchlichen Raum für politischen Protest. Das Regime setzt die Kirchenleitung der DDR unter Druck, sie soll den Protest unterbinden. Die Kirchenführung versucht daraufhin, den verschiedenen Gruppen die inhaltliche Gestaltung der Friedensgebete zu verbieten. Doch sie erreicht das Gegenteil: in Protesten und offenen Briefe lehnen sich die Bürger dagegen auf, die Friedensgebete zu entpolitisieren.

Auslöser für die Proteste ist eine wachsende Unzufriedenheit der DDR-Bürger. „Festgestellte Unzulänglichkeiten und Mißstände in Betrieben und im Bereich Handel und Versorgung wurden immer stärker als symptomatisch für die Situation und Entwicklung in der gesamten Volkswirtschaft beurteilt“, heißt es in einer streng geheimen internen Information des MfS aus dem August 1988: „Diese vom Grundtenor her immer kritischer und unduldsamer werdenden Diskussionen prägen zunehmend das Stimmungsbild der Bevölkerung“.

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Die Unzufriedenheit tritt nun immer deutlicher zu Tage: die oppositionellen Gruppen, die Zahl der Ausreiseanträge, ja sogar die parteiinternen Verfahren gegen Genossen vermehren sich stark – doch die DDR-Führung hält starr an ihrem Kurs fest. Als bekannt wird, dass auch die Ergebnisse der Kommunalwahl 1989 vom SED-Regime gefälscht waren, versammeln sich hunderte Demonstranten um die Leipziger Nikolaikirche. Die Situation wird angespannter. Am darauffolgenden Tag ist die Nikolaikirche beim Friedensgebet erstmals von einem Polizeikessel umstellt. Und als im Juni 1989 in China der Studentenaufstand blutig niedergeschlagen wird, begrüßt das die DDR-Führung ausdrücklich. Viele DDR-Bürger sind empört – und haben gleichzeitig Angst, die Montagsdemos würden ähnlich brutal niedergeschlagen. Die Kirchenführung versucht zu vermitteln, doch der Unmut der Bevölkerung ist zu stark. Weil die Andachten eben auch politisch sind, wird das Kirchenschiff der Nikolaikirche Montag für Montag immer voller. Und der Ruf der Leipziger Friedensgebete verbreitet sich über das ganze Land.

4.9.1989 

Nach dem Sommer 1989 suchen sich die Mitglieder der Bürgerbewegung den 4. September 1989 bewusst aus. Denn während der Leipziger Messe sind westliche Medien in der Stadt. Ein idealer Moment, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Insgesamt demonstrieren 200 bis 300 Menschen nach dem Montagsgebet auf dem Platz vor der Kirche, dem Nikolaikirchhof. Bei der nächsten Montagsdemo kommen bereits doppelt so viele Menschen. Doch dann schlägt der Staatsapparat zu. Stasi und Volkspolizei verhaften am 11. September rund 100 Demonstranten. Die Plakatträger vom 4. September werden gezielt herausgesucht. In den Akten der Volkspolizei steht: „Einsatz der Deutschen Volkspolizei zur Bekämpfung einer Zusammenrottung im Bereich Nikolaikirchhof. Nach Abschluss des Friedensgebets gegen 17.45 Uhr verblieben ca. 500 Personen auf dem Nikolaikirchhof. Damit trat eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein. Gegen 19.30 Uhr waren alle Ansammlungen aufgelöst. Weitere Zuführungen waren erforderlich.“ Zuführung steht im Jargon des DDR-Staatsapparates für Verhaftung. Fast 100 Demonstranten werden festgenommen. Es gibt ab sofort regelmäßig Fürbitt-Gottesdienste für die Inhaftierten und von Montag zu Montag werden es mehr Demonstranten. Aus der kleinen Protestaktion während der Leipziger Messe wird innerhalb weniger Tage eine Massenbewegung.

Waren es bei der ersten Montagsdemonstration am 4. September 1989 noch etwa 500 Demonstranten, so sind es einen Monat später schon 20.000. Sie fordern Meinungsfreiheit und politische Reformen. Eine massive Zahl an Sicherheitskräften steht bereit, aber greift nicht ein. So bleiben die Demonstrationen unblutig, bis heute für viele ein Wunder. Im ganzen Land gehen die Menschen nun auf die Straße. Der Protest erreicht seinen Höhepunkt dann am 23. Oktober, als in Leipzig 320.000 Menschen demonstrieren. Erst eine Woche vorher war Erich Honecker zurückgetreten. Die Protestmärsche enden im März 1990, dem Monat ersten freien Wahlen zur Volkskammer. Was in Leipzig begann, hatte sich längst in alle Bezirke des Landes ausgeweitet – die DDR war am Ende.

Redaktion