Europas Mitte | Rechtsextreme in Polen

Jung und rechts

Im November 2017 marschieren um die 60.000 Nationalisten und Rechtsextreme durch Warschau. Die polnische Regierung spricht von „schönem Patriotismus“, internationale Medien reagieren geschockt. Hat Polen ein Problem mit Rechten?

„Meine Oma freut sich“

Als am polnischen Unabhängigkeitstag 60.000 Menschen mit Flaggen durch Warschau gezogen sind, ist die internationale Presse entsetzt gewesen. Was die polnische Regierung noch am selben Tag als „schönen Anblick“ bezeichnet hat, ist tatsächlich ein Schaulaufen rechter Kräfte gewesen. Den Marsch haben rechtsextreme Polen wie die Allpolnische Jugend oder das Nationalradikale Lager (ONR) organisiert.

In Polen selbst blickt man zwiespältig auf das Ereignis. So berichtet die junge Polin Maria Kadzielska, sie finde es unvorstellbar, dass dieser Feiertag mit rechten Gruppen verbunden werde. Außerdem habe sie viele Familien und ältere Menschen gesehen, die patriotisch die rot-weiße Fahne geschwenkt hatten.

Meine Oma hat mir erzählt, wie schön sie es findet, dass Menschen an dem Tag in Warschau die polnische Fahne zeigen. Sie findet das toll. Sie verbindet das Datum nicht mit diesen Gruppen. Und so sollte es sein.  Maria Kadzielska

Mehr rechtsextreme Polen

Der Psychologe Mikolaj Winiewski sieht das anders. Er arbeitet am polnischen Zentrum zur Erforschung von Vorurteilen. Zwar stimme er zu, dass wahrscheinlich nicht alle 60.000 Teilnehmer rechtsradikal seien. Dass Familien und junge Leute allerdings bloß danebenstehen, während rechtsradikale Sprüche gerufen werden, sieht er problematisch. Denn es gibt laut Winiewski mehr rechtsextreme Polen.

Am Zentrum zur Erforschung von Vorurteilen arbeitet er an einer Befragung zu Vorurteilen in Polen. Diese Untersuchung findet alle vier Jahre statt. Alle Teilnehmer werden dabei zu ihren Ansichten über verschiedene Ethnien, Religionen und Minderheiten befragt. Die Ergebnisse zeigen laut Mikolaj Winiewski deutlich, dass Fremdenhass und Rassismus in Polen mehr werden – auch wenn es keine absoluten Zahlen gibt.

Frust, Angst, Ungleichheit

Der Anstieg resultiere vor allen Dingen von jungen Polen, erklärt Mikolaj Winiewski. Die sind demnach oft frustriert, weil sie zum Beispiel das Gefühl hätten, keine Sicherheiten im Job zu bekommen oder kaum eine Perspektive zu haben, mehr zu verdienen als ihre Eltern.

Das sind die Dinge, die zu Rechtsextremismus und Fremdenhass führen. Es entsteht das Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Das wird von Politikern oder rechten Organisationen ausgenutzt. Diesen Frust müssen wir als Gesellschaft adressieren. Aber das tun wir nicht.  Mikolaj Winiewski

Wieso haben Rechtsextreme in Polen so einen großen Einfluss? Und welche Schuld hat die Politik? detektor.fm-Reporter Lars-Hendrik Setz hat mit Menschen in Warschau über das Phänomen gesprochen.


In „Europas Mitte“ reist Lars-Hendrik Setz durch die Visegrád-Länder. Im Podcast sammeln wir alle Episoden. Alle Folgen gibt es auch direkt bei Apple PodcastsDeezer und Spotify.

Redaktion