Gesellschaft | Terror, Populismus, Wahlmüdigkeit: Wie zukunftsfähig ist das System Demokratie?

Was ist nur mit unserer Welt passiert?

Brexit, Türkei, Trump und dann die Anschläge in Nizza und bei Würzburg: Beim morgendlichen Nachrichtenlesen kann man schon mal verzweifeln. Hat unser politisches System namens Demokratie noch Zukunft? Und ist den Wählern mittlerweile alles egal? Was ist nur los mit unserer Welt? Wir stellen jetzt mal ein paar Grundsatzfragen.

Die Briten stimmen für den Brexit und googlen angeblich danach erst mal: „Was ist eigentlich die EU?“ – dass sie für Großbritanniens Austritt gestimmt haben, finden einige jetzt doch eher ärgerlich, sie bekommen aber nun mit Boris Johnson einen der größten Schreihälse der letzten Jahre als Außenminister.

Zeitgleich verwandelt sich die Türkei in den Augen mancher langsam, aber sicher in einen autoritären Staat, der sich von sämtlichen demokratischen Werten abwendet. Und in den USA wird vielleicht bald ein Mann Staatspräsident, der mit Politik eigentlich noch nie was am Hut hatte.

So mancher liest morgens die Nachrichten und muss danach erst mal heftig den Kopf schütteln. Nach dem Schwindel bleibt die Frage: Geht die Welt jetzt endgültig vor die Hunde? Da hilft dann vielleicht nur noch: Zeitung schnell zuschlagen, Finger in die Ohren und ab in die Mir-doch-egal-Ecke.

Aber soll unser System nicht eigentlich ganz anders funktionieren?

Ist die Sache mit der Demokratie einfach durch?

Bisher ist noch jedes politische System irgendwann abgeschafft, überwunden oder ersetzt worden. Nach einem ganz neuen System muss man vielleicht noch nicht suchen, aber es muss sich einiges grundlegend ändern, damit die Gesellschaft nicht gegen die Wand fährt, sagt der Philosoph und Politikwissenschaftler Frieder Otto Wolf.

Es wird mehr und mehr deutlich, dass das eine Sackgasse ist aus der es aber auch immer schwerer wird, wieder herauszukommen. – Frieder Otto Wolf, Philosoph

In seiner Kapitalismuskritik geht es vor allem um den Neoliberalismus, der auf eine möglichst unregulierte Marktwirtschaft abzielt. Auch die soziale Marktwirtschaft in Deutschland beruht auf diesem Prinzip, hier ergänzt durch staatliche Eingriffe, die den Wohlstand gerechter verteilen soll. Das Versprechen, alle an dem Wohlstand des Kapitalismus teilhaben zu lassen, sei aber gar nicht zu halten, sagt Wolf. Und seit der Finanzkrise sei der Neoliberalismus eigentlich in der Krise.

Die Freiheit ist ja immer nur die Freiheit des Geldbesitzes, die bei uns deutlich geschützt wird. Aber die Freiheit der Anderen, die ausgebeutet und unterdrückt sind, die ist eben nicht gleichzeitig entwickelt worden. Also von gleicher Freiheit kann doch keine Rede sein. Im Gegenteil! – Frieder Otto Wolf

Da das System „Demokratie + Marktwirtschaft“  immer wieder als alternativlos präsentiert wird, münde die Unzufriedenheit vieler Bürger aber bloß in Resignation, sagt Wolf. Denn welche Perspektive gibt es? Etwa den Sozialismus, der doch längst an der Realität gescheitert ist?

Kleine Schritte in die richtige Richtung

Der Demokratie an sich will Wolf aber noch nicht gleich den Rücken kehren. Stattdessen ruft er zum Kampf gegen die liberalen Mächte auf. Einen sprunghaften Wechsel in ein neues System hält er für unrealistisch. Wer in der Parteienpolitik keine Perspektive sieht, solle nicht resignieren, sondern von seiner individuellen Situation ausgehend aktiv werden.

Ich denke nicht, dass es unmöglich ist, aber es wird jetzt sehr mühsam, das noch zu korrigieren. – Frieder Otto Wolf

„Grabe, wo du stehst“, zitiert Wolf auf der Eröffnung einer Strategie-Tagung der grünen emanzipatorischen Linken den Schriftsteller Sven Lindqvist. Ein bisschen Demonstrieren reicht ihm als Kapitalismuskritik nicht. Man dürfe nicht im Nachdenken „steckenbleiben“, sondern solle sich vor Ort engagieren. Zum Beispiel, indem man Flüchtlingen hilft und Solidarität mit anderen Bewegungen zeigt. Denn die Globalisierung habe auch die weltweite Vernetzung von gesellschaftskritischen Bewegungen möglich gemacht.

„Es gibt auch Momente, in denen die Mächtigen verunsichert sind“, sagt Wolf, und in diesen Momenten könne interveniert werden. Ein solcher Moment zeigt sich oft in Krisen. Zum Beispiel in den Krisen, über die man gerade jetzt morgens in der Zeitung liest und dann den Kopf schüttelt.

Und ertappt er sich dabei, wie die Finger Richtung Ohren wandern und die Augen in die Mir-Doch-Egal-Ecke schielen, bleibt für Frieder Otto Wolf vielleicht folgende Frage zurück: Reicht das Kopfschütteln denn?

detektor.fm-Moderator Christian Eichler hat mit Frieder Otto Wolf über all diese Fragen gesprochen.

Es ist immer die falsche, neoliberal einschränkende Richtung gewählt worden. Und ich denke nicht, dass es unmöglich ist, aber es wird jetzt sehr mühsam, das noch zu korrigieren.Frieder Otto Wolf 

Redaktion: Amy Wittenberg

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