Ist das gerecht? | Notunterkünfte für Flüchtlinge

„Es ist eine Abwägungssache“

Der Oberbürgermeister von Tübingen kündigt ein neues Vorhaben für die Unterbringung von Flüchtlingen an. Leerstehende Landesgebäude sollen umgenutzt werden – vorallem mit Blick auf den Winter. Doch ist diese Idee überhaupt umsetzbar?

Neue Idee für Flüchtlingsunterkünfte

Die aktuelle Situation in vielen Flüchtlingsunterkünften ist schwierig. Die Zeltstädte und Turnhallen sind überfüllt und es gibt häufig nicht genügend Sanitäreanlagen. Besonders wenn der Winter kommt, müssen neue Alternativen geschaffen werden, um die Menschen sicher unterzubringen. Da hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen eine Idee. Er möchte notfalls leerstehende Häuser nutzen, um Flüchtlinge darin unterzubringen. Palmer schätzt, dass allein in Tübingen rund 400 Wohnungen leerstehen, in denen bis zu 1.000 Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Doch es regt sich Widerstand.

Ist das umsetzbar?

Palmer versuchte bereits mit einigen Hausbesitzern in einen Dialog zu treten. Er kündigte an, nur im Notfall leerstehende Wohnungen für einige Monate zu beschlagnahmen. Er sagte: „Jeder wird verstehen, dass es seltsam ist, eine Zeltstadt neben einem leerstehenden Gebäude aufzubauen“. Rechtlich ist das Vorhaben eine schwierige Angelegenheit. Denn der Schutz des Privateigentums ist im Grundgestetz  verankert.

In der Tat es gibt eine Rechtsgrundlage dafür. Es gibt den Paragraphen 33, in dem von Handhabung von Eigentum der Bürger die Rede ist. Und das passiert wirklich hunderte Male in Deutschland jeden Tag, wie zum Beispiel bei Räumungsklagen. Es steht zwar nicht wörtlich drin, aber die Ordnungsbehörden dürfen solche Notstände abwenden.  – Achim Doerfer, Rechtsanwalt

Es gibt eine Möglichkeit zur Beschlagnahme. Nur in Notfällen, wenn beispielsweise dem Flüchtling Obdachlosigkeit droht, kann die Stadt leerstehende Häuser in Anspruch nehmen. Das geht aber maximal nur für sechs Monate und es muss gründlich geprüft werden, ob es keine anderen Alternativen für Unterkünfte gibt.

Hausbesitzer die sich dagegen stellen, haben die Möglichkeit, Klage einzureichen. Aber da eine Klage lange dauern kann, könnte es sein, dass bis zum Zeitpunkt der Bearbeitung die Räume unter Umständen gar nicht mehr benötigt werden. Außerdem erhalten Hausbesitzer auch Schadensersatz für den Zeitraum der Nutzung. Dies ist ein Vorteil für die Besitzer.

Der badenwürttembergische Städttag ist zwar gegen die Pläne von Palmer, aber entschieden wurde bisher noch nichts.

Ob und wie es möglich ist,  das Vorhaben von Oberbürgermeister Boris Palmer umzusetzen, darüber hat detektor.fm Moderatorin Constanze Müller mit Rechtsanwalt Achim Doerfer gesprochen.

Unterm Strich, finde ich es Richtig. So ein großer Verfechter ich des Eigentumsschutzes bin und der wirtschaftlichen Freiheit, kann man natürlich hier nicht Menschen unter der Brücke schlafen lassen, während nebenan Häuser leerstehen.Achim Doerfer 

Redaktion: Carina Fron und Nasti Neher

Jeden Dienstag sprechen wir in der Serie „Ist das gerecht?“ mit dem Anwalt Achim Doerfer über aktuelle Rechtsthemen. Alle Folgen gibt es hier und als Podcast.