Ist das gerecht? | Zum Lesen verurteilt

Erziehung statt Knast

Ein Jugendlicher ist zu 20 Stunden Lesen verurteilt worden, weil er das Nummernschild an seinem Motorrad nicht richtig angebracht hatte. An der Uni soll er jetzt passende Bücher lesen. Eine angemessene Erziehungsmaßnahme?

Zum Lesen verurteilt

Das Münchner Amtsgericht hat einen 19-Jährigen zum Lesen verurteilt und so eine erzieherische Maßnahme angewendet. Der Jugendliche muss 20 Stunden lesen, weil die Polizei ihn zweimal mit einem falsch angebrachten Nummernschild am Motorrad erwischt hat. Beim ersten Mal drückten die Beamten noch ein Auge zu.

Hier haben wir es mit einer Erziehungsmaßregel zu tun, der mildesten Form der Sanktion, und da ist das Gericht frei. Im Gesetz sind nur Beispiele genannt. Wenn der Richter kreativ sein will, kann er das auch anders machen. – Achim Doerfer, Rechtsanwalt

Da er aber Wiederholungstäter war, entschied sich die Richterin letztendlich für eine erzieherische Maßnahme. Der junge Mann soll sich intensiv mit der Tat auseinandersetzen und Bücher lesen, die thematisch zu seinem Fall passen. Die Hochschule München führt die sogenannte Leseweisung mit den Verurteilten durch.

Jugendgerichtsgesetz

Die Leseweisung über 20 Stunden beinhaltet auch Gesprächstermine, in denen über die Lektüre diskutiert wird. Außerdem muss der Verurteilte zum Abschluss eine Arbeit verfassen. Diese kann verschiedene Formen haben: Kurzgeschichten, Plakate oder Raps.

Das Jugendstrafrecht sieht eine breite Palette an Sanktionen vor. Man geht aus der Erfahrung davon aus, dass Menschen in dem Alter auch mal Blödsinn machen und deswegen nicht prinzipiell kriminell sind. – Achim Doerfer

Wie der Gesetzestext dazu sagt, sollen die Heranwachsenden bei Leseweisungen nicht nur bestraft werden, sondern auch erzogen werden. So heißt es wörtlich „Rechtsfolgen sind vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten„.

Zusammenarbeit mit der Hochschule München

Bei dem Projekt mit der Hochschule München arbeiten Studenten mit den Jugendlichen. Sie fungieren als Mentoren, helfen bei der Auswahl der Lektüre und Verständnisschwierigkeiten. Der junge Motorradfahrer hat sich „die Treppe in die Dunkelheit“ von Steffen Flügler ausgesucht und es gleich zwei Mal gelesen.

Warum Erziehungsmaßnahmen sinnvoll sind, und was er selbst für Erfahrungen gemacht hat, erzählt Rechtsanwalt Achim Doerfer detektor.fm-Moderator Christian Eichler.

Für den Geschädigten ist das manchmal frustrierend. Aber man muss das hinnehmen: Warum soll ein 16-Jähriger in den Knast gehen, wenn man davon ausgehen kann, dass er das nicht nochmal macht.Achim Doerfer 

Redaktion: Barbara Butscher


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