Spiegel-Journalist Claas Relotius in der Kritik

Wie viel Fiktion verträgt eine Reportage?

Claas Relotius – ein Journalist, der jahrelang für den Spiegel schreibt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist. Jetzt aber steht sein Name aus anderen Gründen in den Schlagzeilen. Seine Reportagen sollen zum Teil erfunden sein.

SPIEGEL-Reporter Claas Relotius zu Recht preisgekrönt?

Jahrelang hat der Journalist Claas Relotius erfolgreich für den SPIEGEL geschrieben. Für seine Reportagen hat er zum Beispiel bereits vier mal den Deutschen Reporter-Preis erhalten. Doch jetzt steht sein Name in den Schlagzeilen des SPIEGELS und anderer Medien: Er soll seine Reportagen manipuliert und gefälscht haben.

Der Reporter Juan Moreno, der ebenfalls für den SPIEGEL schreibt, ist der erste, der Relotius‘ Geschichten hinterfragt. Nach einigen Recherchen wird aus einer Vermutung Gewissheit. Claas Relotius weist die Vorwürfe anfangs noch mit Ausreden zurück, bis er nicht mehr standhalten kann. Er gesteht, dass seine Reportagen teilweise frei erfunden sind. Der SPIEGEL-Verlag geht offensiv mit dem Skandal um: Er deckt die Geschichte selbst auf und veröffentlicht sie.

Die Grenze zwischen Journalismus und Literatur

Eine Reportage ist eine andere Form von Beitrag als beispielsweise eine Nachricht, was nicht nur an der Länge des Textes liegt. Denn Reportagen sind sehr subjektive Berichte mit viel persönlichem Freiraum. Doch wo genau liegen eigentlich die Grenzen zwischen Journalismus und Literatur?

Der Reporter muss fortlaufend […] seine Erwartungen an die Wirklichkeit, an die Realität […] anpassen können. Und daraus entstehen dann eben die wirklich guten Texte, die in ihrer Brüchigkeit oder in ihrer Unvollkommenheit […] zeigen, wie die Wirklichkeit selber ist. – Michael Haller, Medienwissenschaftler und früher selbst Journalist

Warum lesen wir Reportagen?

Eine Reportage ist emotional, löst Bilder im Kopf aus, vielleicht empfindet man Empathie oder hat einen persönlichen Bezug zu den Akteuren. Dennoch müssen die Fakten in Abgrenzung zu einer frei erfundenen Geschichte stimmen. Vielleicht sogar noch mehr als bei einem weniger emotionalen Format?

Wenn man einen journalistischen Text, egal, ob [es] ein Bericht oder […] eine Reportage ist, liest, dann will [man] doch den Tatsachen, die in dem Text drin sind, Glauben schenken. – Michael Haller

Über den Spiegel-Journalisten Claas Relotius, den Betrug und die Ansprüche an Reportagen spricht detektor.fm-Moderatorin Anja Bolle mit dem früheren Journalisten und Medienwissenschaftler Michael Haller.

Relotius hat Personen erfunden, [schildert Situationen, schildert Orte], die es gar nicht gibt. Das hat natürlich nichts mehr zu tun mit der Gestaltungsfreiheit des Reporters.Prof. Dr. Michael Haller 

Redaktion: Helene Mardicke

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