Die Schweiz will eine neue Nationalhymne

Hymnen-Casting in der Schweiz

Die Schweizer können offenbar ihre eigene Nationalhymne nicht mehr hören. Wegen des sperrigen Textes kann sie auch nur ein Bruchteil der Bevölkerung mitsingen. In einem Wettbewerb wird deshalb seit 2012 eine neue gesucht. Jetzt endlich stehen sechs Titel zur Abstimmung.

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Halb Kirchenlied, halb Wetterbericht

„Trittst im Morgenrot daher / Seh‘ ich dich im Strahlenmeer/ Dich, du Hocherhabener, Herrlicher!“

So besingt sich die Schweiz seit 1961 selbst. Damals wurde dieser Schweizer Psalm provisorisch zur Nationalhymne gemacht und blieb es dann einfach bis heute. Dabei ist der Text vollkommen unzeitgemäß, außerdem schwierig zu merken und zu sprechen – findet jedenfalls die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft SGG. Und auch die Statistik gibt ihr Recht: Gerade einmal zehn Prozent der Schweizer können die erste Strophe der Hymne mitsingen. Alle vier Strophen kennen nur drei Prozent der Bevölkerung. 2012 hat die SGG deshalb einen Landeshymnenwettbewerb ausgerufen, um eine bessere Hymne zu finden.

Eine Castingshow für eine Hymne

Vor gut einem Jahr sind 208 Vorschläge eingegangen. Diese hat die 30-köpfige Jury dann wiederum über ein Jahr geprüft und sich auf sechs Beiträge geeinigt. Der Schweizer Jugendchor vertonte sie dann wiederum in allen Landessprachen. Das Ergebnis steht seit Montag auf den Seiten der SGG seit zur Abstimmung bereit. Auffällig dabei: Drei der Beiträge klingen vertraut, da sie auf der bisherigen Melodie basieren. Die anderen sind stark abgewandelt oder gänzlich neukomponiert. Textlich lehnen sie alle – wie gefordert – an der Präambel der Bundesverfassung an.

Wettbewerbsbeitrag A

Liken, texten, anrufen

Welche die neue Nationalhymne werden soll, darf jetzt die Bevölkerung entscheiden. Allerdings in einem recht langwierigen Prozess. Bis zum 15. Mai läuft ein erstes Online-Voting, um aus sechs noch drei Wettbewerbsbeiträge zu machen. Danach folgt eine zweite Online-Voting-Runde (vom 8. Juni bis 6. September) und am 12. September auch noch TV-Voting in der Sendung «Potzmusig» im Schweizer Fernsehen. Hier können die Zuschauer per SMS und Telefonanruf den besten Beitrag wählen. Es gewinnt der Beitrag, der im zweiten Online-Voting und im TV-Finale zusammen am meisten Stimmen bekommt.

Die Frage nach Sinn und Unsinn

Das Prozedere ist kompliziert, dauert schon über zwei Jahre und ist dementsprechend teuer. Die rund 350.000 Franken, die ursprünglich veranschlagt waren, reichen nicht aus. Inzwischen wird mit einer halben Million Franken kalkuliert. Nicht nur deshalb hagelt es Kritik, besonders aus konservativen Kreisen. Schließlich könne sich die SGG mit Wichtigerem beschäftigen. Der Wettbewerb wäre teuer, unnötig und erinnere an dümmliche Castingshows.

All das ist sicher streitbar, doch ein Punkt stellt den Sinn des Ganzen durchaus infrage. Ob der Gewinnertitel nämlich wirklich Hymne wird, ist noch unklar. Laut der SGG werden die zuständigen Bundesbehörden gebeten, den Siegerbeitrag zur neuen Nationalhymne zu bestimmen, sobald die nötige Popularität in der Bevölkerung erreicht ist. Wie die gemessen und bestimmt wird ist bisher nicht bekannt. Dass es vehemente Gegner gibt, aber schon.

Über das Hymnencasting und die Wettbewerbsbeiträge hat detektor.fm-Moderatorin Teresa Nehm mit dem Kölner Komponisten Klaus Kauker gesprochen.

Wenn dann der Gewinner feststeht, wird die Hymne erst den Politikern vorgeschlagen und die können das dann immer noch ablehnen. Es kann also sein, dass das alles für nichts und wieder nichts ist.Klaus Kauker 

Redaktion: Constanze Müller