NS-Erinnerungskultur – Wenn die Zeitzeugen gehen

Jahrzehntelang wurden Holocaust-Überlebende in den Unterricht eingeladen, um Jugendlichen die Geschichte des Nationalsozialismus näher zu bringen. Doch die Generation der Zeitzeugen stirbt. Was bedeutet das für unsere Erinnerungskultur?

Diesmal ging der Oscar für den besten Dokumentar-Kurzfilm an ein Porträt der ältesten bekannten Holocaust-Überlebenden, Alice Sommer-Herz. Die jüdische Pianistin ist im Konzentrationslager Theresienstadt aufgetreten und hat mit ihrem Klavierspiel Mitgefangenen neuen Lebensmut gegeben. Ihr Sohn und sie wurden aus dem KZ befreit, ihre Mutter und ihr Ehemann überlebten das NS-Regime nicht.

Martin Sabrow 

Alice Sommer-Herz konnte den Erfolg des Films „The Lady in Number 6: Music Saved My Life“ über ihren Lebensweg nicht mehr mitverfolgen: Sie ist knapp eine Woche vor der Oscar-Verleihung im Alter von 110 Jahren gestorben.  Der Film tritt nun an ihre Stelle, als Zeuge ihrer Geschichte.

Verfärbte Erinnerung

Lange Zeit haben Zeitzeugen als authentisch gegolten und wurden als eine besonders lebendige Verbindung zur Geschichte gesehen. Kritik gab es dennoch immer wieder aus der Wissenschaft: Die Erinnerung der Zeitzeugen lasse sich zu leicht durch nachträglich erworbenes Wissen über Tatbestände während der NS-Diktatur verfärben.

Was passiert also, wenn die Generation der Zeitzeugen stirbt? Ist das problematisch für die Erinnerungskultur? Und was tritt an die Stelle des Zeitzeugenberichts? Darüber haben wir mit Martin Sabrow gesprochen. Er ist Direktor am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Es kann sein, dass sich das große Zeitalter des Zeitzeugen dem Ende zuneigt, nicht aber die Ära der Authentizität und ihrer Aura. – Martin Sabrow

http://www.taz.de/The-Lady-in-Number-6/!133656/