Album der Woche: Bombay Bicycle Club – So Long, See You Tomorrow

Es gibt Menschen, die halten Jack Steadman für ein Genie – dabei ist der kreative Kopf von Bombay Bicycle Club grade mal Mitte Zwanzig und tut sich mit zu viel Lobhudelei um seine Person schwer. Er lenkt die Aufmerksamkeit lieber auf die Musik. Das neue Album bezeichnet er ganz stolz als sein „Baby“ – immerhin ist es das erste von vier, das die Band von Anfang bis Ende in Eigenregie produziert hat.

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Für ihre Verhältnisse haben sich Bombay Bicycle Club mit So Long, See You Tomorrow richtig viel Zeit gelassen – nachdem die ersten drei Alben immer ziemlich genau im Jahresrhythmus erschienen sind, hat es diesmal immerhin knapp 18 Monate gedauert, bis ein Nachfolger fertig war. Grund dafür war vor allem, dass Sänger Jack Steadman sich eine Kreativ-Pause gegönnt hat. In London, sagt er, konnte er sich zuletzt nicht mehr so gut auf die Arbeit konzentrieren, weil einfach zu viel um ihn herum passiert. Da sei es schwer, sich zu motivieren, wieder ins Studio zu gehen.

Als ich unterwegs war, gab es nicht viel, das mich ablenken konnte. Ich war meistens für mich allein und auch vor allem in ländlichen Gegenden unterwegs. Das war eine gute Umgebung, um kreativ zu sein.

Ansteckende Fröhlichkeit

Viel von dem neuen Song-Material ist also von den Reisen inspiriert, die Jack Steadman unter anderem in die Türkei, nach Japan und Indien geführt haben. Einige Stücke hat er auch unterwegs geschrieben. Vor allem Mumbai – ehemals Bombay und eine der größten indischen Städte – hat Steadman mit seiner ganz besonderen Energie angesteckt.

Ich liebe diese ansteckende Fröhlichkeit der Menschen, die ich dort getroffen habe. Dir tut irgendwann der Mund weh, weil jeder dich anlächelt und du ständig zurücklächelst. Mumbai hat nicht nur großartige Musik zu bieten, sondern auch eine fantastische Energie. Die Stadt hat ein sehr hohes Tempo und das ist perfekt, wenn du jeden Morgen aufstehen und Songs schreiben willst. Du kannst bei all dieser Energie gar nicht schlafen.

Einfache Melodien, komplexe Arrangements

Einige indische Einflüsse, vor allem Anklänge aus alten Bollywood-Filmen, haben ihren Weg dann auch direkt auf die neue Platte von Bombay Bicycle Club gefunden. Er sei fasziniert davon, wie sehr solche Bollywood-Songs einen sofort mitreißen, sagt Jack Steadman. Genau so müsse Musik für ihn sein – getragen von einer Melodie, die dir sofort im Kopf hängenbleibt.

Im Prinzip ist es das, was ich am meisten an Musik liebe – und es ist auch die einzige Art von Musik, die ich machen will: sehr einfache, aber melodische Songs, die genau deswegen so eingängig sind. Das zieht mich auch so zu diesen alten Bollywood-Songs hin. Aber eigentlich ist es egal, in welchem Stil wir einen Song schreiben – bestenfalls lässt er sich immer auf seine grundlegenden Bestandteile reduzieren. Dann kannst du das auch nur mit einer akustischen Gitarre spielen und dazu singen und es hätte den gleichen Effekt.

Beim ersten Hören wirkt das neue Album von Bombay Bicycle Club allerdings viel komplexer, als es die von Jack Steadman ausgerufene Arbeitsphilosophie vermuten lassen würde. Ja, es gibt starke und einprägsame Melodielinien, aber drumherum bauen Bombay Bicycle Club mit Laptop und Keyboards Schicht um Schicht immer noch ein dichtes – und manchmal schwer zu überschauendes – Konstrukt aus geloopten Beats, Samples und Synthie-Soundspielereien.

Auch die Band selbst empfand die eigene Experimentierfreude diesmal als Balanceakt. Zum einen haben die vier es genossen, mehr Zeit im Studio zu haben. Weil es aber keinen externen Produzenten gab, bestand durchaus die Gefahr, sich bei dem einen oder anderen Song auch zu verzetteln. Jack Steadman und Bassist Ed Nash sind sich aber einig, dass das der einzige Nachteil daran ist, ein Album selbst zu produzieren.

Wir haben es mit dem einen oder anderen Song wirklich zu weit getrieben und das kaputt gemacht, was ursprünglich mal gut daran war. Dann musst du einfach wieder ein paar Schritte zurück gehen. Auf jeden Fall lernt man so, dass weniger wirklich mehr ist – auch wenn einige das vielleicht nicht ganz glauben werden, wenn sie diese Platte hören…

Das Endlosschleifen-Gefühl

Wenn Bombay Bicycle Club etwas aus der Erfahrung mit ihrem ersten selbstproduzierten Album gelernt haben, dann ist das, die eigenen Entscheidungen zwar durchaus zu hinterfragen, aber vor allem dazu zu stehen. Kurz bevor das Album fertig war, stellten sie zum Beispiel fest, dass sich wegen der vielen Loop-basierten Stücke eine Art Endlosschleifen-Gefühl durch die Platte zog. In typisch britischer Selbstironie entschlossen sie sich, diesen Eindruck noch zu verstärken, sagt Ed Nash. Also haben sie das Melodiefragment aus dem Intro des Album-Openers am Ende des letzten Songs sozusagen in einem Mega-Loop wieder aufgegriffen.

Als wir gemerkt haben, dass es sich das Thema Wiederholung oder Kontinuität so komplett durchzieht, dachten wir, lass uns den Kreis schließen und die ganze Platte zum Loop machen. Wenn man das Album jetzt auf Repeat hört, geht es direkt wieder in sich selbst über.

Was Bombay Bicycle Club auf ihrem neuen Album vor allem zeigen, ist eine ernsthafte Anstrengung, nicht auf altbekanntem und sicherem Terrain stehenzubleiben. Das Risiko, Fehler zu machen, ist dabei einkalkuliert. So Long, See You Tomorrow ist ein ambitioniertes, aber trotz aller Finessen sicher kein perfektes Album. Jack Steadman wäre der erste, der da zustimmt – stolz auf die neueste Ergänzung im Platten-Katalog von Bombay Bicycle Club kann er trotzdem sein.

Wir sind schon stolz auf uns – schließlich haben wir alles selbst gemacht und niemand sonst hatte Einfluss darauf. Dieses Album ist also der bisher ehrlichste Ausdruck dessen, was uns als Band ausmacht.

Redaktion