Album der Woche: Julia Holter – Have You In My Wilderness

Zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein

Klassisches Songwriting ist nicht gerade die Sache von Julia Holter. In ihrer experimentellen Musik verarbeitet sie u.a. Barockmusik des 17. Jahrhunderts und Postrock. Dabei heraus kommen träumerische Songs zwischen Ambient, Jazz und Pop. Ihr viertes Album heißt „Have You In My Wilderness“.

Ein Blick auf die Referenzen in der Musik von Julia Holter vermittelt leicht den Eindruck, dass man etwa fünf verschiedene Geisteswissenschaften studiert haben muss, um sie zu verstehen. Da ist die Rede von griechischen Tragödien, französischen Avantgardefilmen und amerikanischen Musicals.

Glücklicherweise funktionieren Holters Songs auch ohne all dieses Hintergrundwissen. Sie möchte auch keine bestimmte Botschaft rüberbringen, sagt sie. Ihr geht es um das Gefühl beim Hören.

Großstadt vs. Wildnis

Julia Holters letztes Album Loud City Song war inspiriert von der Großstadt. Mit Have You in My Wilderness geht es aber nur im übertragenen Sinne in die Wildnis. Was die beiden Alben unterscheidet, erklärt Holter so.

Loud City Songs klingt so, als würde man vor einem großen Publikum auf einer Bühne spielen. Die neue Platte hört sich persönlicher an, als würde man nur für eine Person singen. Ich mag Songs, die mir etwas über mein Leben erzählen, in denen ich mich wiederfinden kann. Ich denke, viele Leute mögen diese Art von Songs.


Hatten ihre früheren Alben alle ein bestimmtes Thema, eine verbindende Geschichte, ist Have You In My Wilderness eher wie eine Sammlung von Kurzgeschichten. Ein immer wiederkehrendes Thema sind dabei Machtverhältnisse zwischen Menschen, sagt Holter.

Die Songs haben einiges gemeinsam, vor allem das Thema von Macht und jemanden erobern zu wollen. Das ist einerseits sehr männlich: „Ich will dich als meine Frau in meiner Welt“, darauf bezieht sich auch der Titel. Aber Frauen machen sowas auch und Menschen generell, auch wenn sie nicht in einer Liebesbeziehung sind.

Keine Perfektionistin

Die Songs auf Have You In My Wilderness sind luftig arrangiert, Holters glasklare Stimme schwebt über einem warmen Teppich aus Streichern, Klavier und Synthies. Mit viel Echo unterlegt scheint sie einem direkt ins Ohr zu hineinzusingen.

Holter hat Komposition studiert und das hört man ihrer Musik an. Aber nur für andere Leute Musik schreiben hat ihr nicht gefallen, sagt sie.

Ich habe früher nur für andere Leute Songs geschrieben und nicht selbst gesungen. Aber das hat mir nicht gefallen. Ich nehme immer Demos von meinen Songs auf, bei mir zu Hause mit dem Computer. Aber ich schreibe mir nie die Noten auf. Erst wenn’s ans Aufnehmen geht und andere Leute die Sachen spielen müssen. Aber auch dann bastele ich keine perfekten Arrangements. Meistens sind es nur die Noten und oft lasse ich die Musiker auch improvisieren.

Die zehn schimmernden, traumähnlichen Stücke auf Have You In My Wilderness bewegen sich zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Man muss die Musik von Julia Holter nicht im Detail verstehen. Man muss sich darauf einlassen – das aber ist die Mühe wert.

Redaktion