Album der Woche: Noga Erez – Off The Radar

Tanzen und schießen?

Staatliche Überwachung, manipulative Medien, sexuelle Übergriffe – die Künstlerin Noga Erez scheut sich nicht, in ihren Songs schwierige Themen anzufassen. In dieser Woche erscheint ihr Debütalbum „Off The Radar“. Trotz seines Titels wird ihr das viel Aufmerksamkeit bescheren.

Aus der Vogelperspektive sieht man die Welt, wie sie wirklich ist. Vielleicht hat sich Noga Erez deshalb für ihr Video zum Song Toy von ihrem Debütalbum Off The Radar ein Dach in ihrer Heimatstadt Tel Aviv ausgesucht. Darauf tanzt sie mit zwei Mitstreitern zu verschleppten Beats und einem brummenden Bass. Mit irritierend künstlich in die Höhe geschraubter Stimme singt sie von Macht und Machtmissbrauch. Noga Erez verarbeitet die Realität, in der sie lebt, in ihrer Musik, sieht sich aber nicht als ausgesprochen politische Künstlerin. Sie komme aus Israel, aber Tel Aviv sei wie eine Blase, erzählt sie.

Wenn ich 40 Minuten mit dem Auto fahre, komme ich in ein Kriegsgebiet. Aber ich lebe nicht in einem Kriegsgebiet. Meine Realität ist das Gegenteil. Ich lebe und arbeite in der Nähe von Tel Aviv. Es ist eine Blase, man geht auf der Straße und fühlt sich komplett sicher. Du machst dir keine Sorgen über deine Sicherheit, es ist der normale westliche Lifestyle. Aber ich weiß, dass ich privilegiert bin und anderen Menschen, die direkt neben mir wohnen, sind es nicht. Das gilt für beide Seiten der Grenze, meistens auf der anderen Seite der Grenze. Das macht das Ganze kompliziert.

Wissenswertes über elektronische Musik

Schon als Kind hat sich Noga Erez für Musik interessiert. Sie hat die Lieder aus dem Radio nachgesungen, hat Klavier- und Gesangsunterricht bekommen. Sie war Background-Sängerin in der Indiefolk-Band The Secret Sea, hat Komposition studiert und ein Jazztrio gegründet. Sie hat viele Dinge ausprobiert und ist schließlich beim Beatsbasteln gelandet, obwohl sie anfangs mit elektronischer Musik überhaupt nichts anfangen konnte. Das hat sich erst geändert, als sie ihren musikalischen Partner Ori Rousso kennengelernt hat. Der hat ihr alles Wissenswerte über Knöpfe, Kabel und Klänge erklärt.

Als ich aufgewachsen bin, mochte ich elektronische Musik überhaupt nicht, weil ich immer dachte, elektronische Musik ist Techno, Four-on-four, Trance, all diese Sachen. Ich habe immer gesagt: ‚Das ist keine Musik!‘ Als ich aber immer mehr Musik davon entdeckt habe, habe ich gemerkt, dass es nicht nur um Struktur und Songs geht, sondern auch um Textur und das Hineintauchen in eine Welt, um Atmosphäre. Ich wollte herausfinden, wie dieser Klang funktioniert, wie man das erzeugt und wie man das so klingen lassen kann. Mein Lehrer Ori Rousso hat mir sehr geholfen und ist am Ende mein Partner geworden.

Beats, Synthieschichten, Samples und elektronisches Gezischel und Geklimper der Sound von Noga Erez erinnert an M.I.A. und fka Twigs. In ihren Songs verknüpft sie persönliche und politische Themen wie sexuelle Übergriffe, manipulative Medien und staatliche Überwachung. Einerseits lebe sie in einem Land, deren Regierung immer extremer werde, sagt sie. Aber gleichzeitig hat sie das Glück, Musik machen und tanzen zu können, während anderswo geschossen wird. Davon handelt zum Beispiel der Song Dance While You Shoot.

Wir auf der privilegierten Seite schauen auf die weniger Privilegierten aus sicherer Entfernung. Manchmal fühlen wir sehr mit ihnen, aber im Endeffekt machen wir nichts dagegen. Damit habe ich Probleme. ‚Dance While You Shoot‘ handelt von der Frage: Kannst du die Macht in deiner privilegierten Position benutzen, um etwas für die weniger Privilegierten zu verbessern?

Noga Erez alles andere als Off The Radar

Auf Off The Radar macht sich Noga Erez die Dualität aus tanzbarer Musik und inhaltsschweren Texten zu Nutze und bewegt sich damit locker auf Augenhöhe vergleichbarer Produktionen aus den USA oder England. Und in dem wirklich sehr undurchsichtigen und zuweilen abstrakt anmutenden Thema „Nahostkonflikt“ ist ihre Stimme eine der jungen Menschen aus Israel, die sich für eine Normalisierung der Verhältnisse einsetzen. Sie hofft eines Tages mit einem palästinensischen Künstler zusammenzuarbeiten. Bis dahin ist ihre Musik sicherlich alles andere als „off the radar“.

Redaktion