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Album der Woche: The Divine Comedy – Bang Goes The Knighthood

Dante brauchte 13 Jahre, um seine „Göttliche Komödie“ zu vollenden – kaum zu glauben, dass auch Neil Hannon alias The Divine Comedy seit mittlerweile 20 Jahren daran arbeitet, das perfekte Pop-Album zu erschaffen. Mit seinem 10. Studioalbum steht er jedenfalls kurz davor: „Bang Goes The Knighthood“ hat alle Voraussetzungen, um als Hannons Opus Magnum in die Musikgeschichte einzugehen.

Für die Langlebigkeit von The Divine Comedy sieht Neil Hannon vor allem einen Grund: Er könne über einfach alles einen Song schreiben – und so aus einem unerschöpflichen Pool von Themen schöpfen. Bang Goes Th Knighthood ist ein Paradebeispiel für die Bandbreite der Dinge, die Neil Hannon für besingenswert hält. Bankenkrise, Britpop, Indie-Discos, potentiell rufschädigende Sexualpraktiken oder Prostitution im 2. Weltkrieg: Ein Album zu schreiben, das trotz der willkürlich anmutenden Zusammenstellung der Songs als Ganzes funktioniert, ist nicht einfach – aber typisch The Divine Comedy.

Hannon gibt jeder seiner Geschichten den passenden musikalischen Rahmen, oft genug bewusst kontrastierend zwischen den abgründigsten Stories und sonnig beschwingten Melodien. Neapolitan GirI zum Beispiel ist inspiriert von den Kriegstagebüchern des britischen Schriftstellers Norman Lewis und erzählt von jungen Mädchen, die während der Besatzung Italiens durch die Alliierten auf den Friedhöfen von Neapel als Prostituierte arbeiteten – begleitet von Musik, die klingt, als sei man im Cabrio bei offenem Verdeck unterwegs in den Mittelmeerurlaub.

Die Songs von The Divine Comedy sind fast immer textlich wie stilistisch in vergangenen Epochen angesiedelt und wirken vielleicht gerade deswegen so zeitlos. Neil Hannon bewegt sich mühelos von Vaudeville zu 40er-Jahre-Tanzkaffee, von Musical zu Gitarrenpop. Jeder Song auf dem Album hält ein kleines Stück Zeitgeist fest; zwölf Schlagworte in einer musikalischen Enzyklopädie: Neil Hannon und wie er die Welt sieht.

Obwohl Neil Hannon keinen sentimental verklärten Blick auf die „gute alte Zeit“ wirft, scheint er sich doch überall wohler zu fühlen als in der Gegenwart. Das Internetzeitalter, sagt er, sei überhaupt nicht seine Welt.

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Ich mag Bücher. Und Radio und Fernsehen. Ich verstehe den ganzen Twitter-Kram nicht. Wen interessiert, was Stephen Fry zum Frühstück isst? Du bekommst all diese unverarbeiteten Informationen, völlig unsortiert und nicht in eine bestimmte Form gebracht. Das hat nichts mit Kunst zu tun. Es ist gedankenlos und oberflächlich.

Folgerichtig beklagt Neil Hannon in The Lost Art Of Conversation, dass wir dank Facebook und Twitter verlernen, miteinander zu reden, während wir uns in die Augen sehen. Im Song erträumt er sich eine revolutionäre Gegenbewegung, deren Mitglieder Konversationsanschläge auf Pendler in der Londoner U-Bahn ausüben.


Die Kunst eingängige Songs zu schreiben beherrscht Neil Hannon jedenfalls meisterlich. Dabei wechselt er mit Leichtigkeit zwischen großer Geste, theatralischem Überschwang und Stücken ganz ohne Pomp. Gerade bei den schlichter instrumentierten Songs wie Have You Ever BeenLove In oder dem verträumten Island Life, einem Duett mit der irischen Sängerin Cathy Davey, zeigt sich Hannons unfehlbares Gespür für Melodien, die man spätestens beim zweiten Chorus mitpfeift.

Bang Goes The Knighthood ist das erste Divine-Comedy-Album, das Neil Hannon über sein eigenes Label, DCR, veröffentlicht. Ursprünglich sollte die Produktion deutlich weniger aufwändig werden, als beim Vorgänger, Victory For The Comic Muse.

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Es sollte eigentlich alles ganz klein und überschaubar bleiben – und ich wollte vor allem alles in Dublin machen. Ich konnte es mir auch gar nicht leisten, alle Musiker, mit denen ich auf dem letzten Album gearbeitet habe, aus London einzufliegen und habe das meiste selbst eingespielt. Letztlich bin ich dann aber doch mit einer Festplatte voll Material nach London gefahren, wo wir dank der Rezession und der schwierigen Situation in der Musikindustrie für wenig Geld mit den besten Musikern arbeiten konnten. Wir haben die gesamten Streicher- und Bläserparts in nur einem Tag aufgenommen. In dem Fall hatte die Rezession also auch etwas Gutes.

Abgesehen davon lieferte die Finanzkrise Neil Hannon ausreichend Frustpotential, um daraus den Song The Complete Banker entstehen zu lassen. Normalerweise sei er nicht der Typ, der sich von Wut inspirieren ließe – in diesem Fall schon.

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Ich war wirklich unglaublich sauer auf diese gierigen Finanztypen, die immer schon Geld auf Kosten anderer verdienen und sich immer noch fiesere Methoden ausgedacht haben, wie man Leute ausnehmen kann. Und wenn dann ihr ganzes System kollabiert, erwarten sie von uns, dass wir dafür bezahlen? Einfach unglaublich! Und die einzige Waffe, die ich gegen sie einsetzen kann, ist Satire. Also habe ich einen Song darüber geschrieben, wie sehr ich diese Typen hasse.

Rezession hin oder her, Neil Hannon liefert mit diesem Album zwölf überzeugende Gründe, sich zumindest für eine Weile ohne Sorgenfalten überschwänglicher Begeisterung hinzugeben. Bang Goes The Knighthood ist ein im besten Sinne unverschämt gutes Album, das – um mit den Worten von The Divine Comedy zu sprechen – nur ein Urteil erlaubt: I like.

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