Album der Woche: The National – High Violet

Seit ein paar Monaten geht das nun schon so: Häppchenweise wuseln die Vorboten des neuen The National-Albums durch die aufgeregte Netzwelt. Ein Live-Video hier, ein Vorab-Song da. Mittlerweile hat sich dieses Grundrauschen zu einer Erwartungshaltung kumuliert, die so dringlich wie die sonore Bass-Stimme von Sänger Matt Berninger tönt. Auffallend oft ist da schon vom „Album des Jahres“ die Rede. Nun kann sich jeder sein eigenes Bild darüber machen. „High Violet“ ist vergangenen Freitag erschienen.

Mit The National ist es ein bisschen wie mit dem Film Donnie Darko: Beide sind nicht wirklich vielen ein Begriff, doch wer sie kennt liebt sie. Und so wie Donnie Darko seine Zeit brauchte, um sich vom Underdog zum Geheimtipp adoleszenter DVD-Sammlungen zu mausern, so dauerte es auch ein wenig, bis The National mit ihrem 2007er Album Boxer aus dem Schatten von Interpol und den Editors heraustraten. Ihr Neuling High Violet wird die Band nun noch ein Stück weit über diese Fixpunkte hinaus ins grelle Rampenlicht rücken. So weit, dass die Fangemeinde die Angst umtreibt, The National stünde der „Coldplay-Effekt“ bevor und bald könne man die Jungs nur noch von der Ferne betrachten, von den Rängen großer Stadien.


Auf High Violet erfinden sich The National nicht neu. Nach wie vor nuschelt Matt Berninger wehmütige Erkenntnisse in seinen Vollbart, die sich stets passgenau in das wohlig-warme Bett aus Band und Orchester einmummeln. Vielmehr legen die neuen Songs noch einen auf Boxer drauf. Ausgefeilter sind sie, die längeren Studiozeiten deutlich hörbar. Wieder und wieder habe man die Arrangements zerschreddert, neu durchdacht und mühsam zusammengeflickt.

The National haben ein Faible für üppige Instrumentierungen, die jedoch nie überproduziert wirken. Bläser und Streicher drängen sich nicht unnötig auf, sondern stellen sich wohl dosiert in den Dienst des Songs und erfüllen so ihre Funktion als dezenter Gefühlsverstärker mit Bravour. Dazu beigetragen haben unter anderem die helfenden Hände und Stimmen von Sufjan Stevens, Bon Iver und Nico Muhly. Insgesamt waren da viele Köche am Werk, die aber den Brei nicht verdorben, sondern aus ihm ein exquisites Menü mit 11 Gängen gezaubert haben.

Thematisch ist High Violet ein Siegeszug der Trauer. Songs wie Terrible Love oder Sorrow drücken mit ihren niederschmetternden Slogans aufs Gemüt wie ein verregneter Montagmorgen. Hieß es auf Boxer noch in bester Hugh Grant-Romantik: You know I dreamed about you for 29 years before I saw you, so überwiegt auf High Violet Trübsal und Tristesse: Sorrow found me when I was young / sorrow waited, sorrow won und weiter It’s in my honey, it’s in my milk, bis sich Berninger vollkommen in Melancholie suhlt: I don’t wanna get over you. Dazu begibt sich das lyrische Ich gerne an konkret benannte Orte, streift etwa als einsamer Wolf durch London oder beobachtet die Geister, die mit ihren MP3-Playern durch die Häuserschluchten Manhattans schweben (Anyone’s Ghost). Doch so wehmütig das alles scheint, mit der Märchenonkel-Stimme Berningers entfaltet es die Wirkung eines heilenden Pflasters auf die Wunde der Mittdreißiger-Depression.

Ohne Frage, nach High Violet dürfte sich das The National-Publikum vervielfachen. Doch für die Beschallung großer Einkaufsketten etwa sind die Brooklyner dann wohl doch zu kopflastig. Vielleicht aber kann man die Band nicht mehr allzu oft in kleinen, verschwitzten Clubs erleben. It takes an ocean not to break heißt es in Terrible Love. Hoffen wir, dass The National gute Schwimmer sind.

Redaktion