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ESC-Kandidatin Cascada – ab wann ist ein Song ein Plagiat?

Guttenberg tat es, Schavan auch – sie haben ein Plagiat verfasst. Nun kann sich wohl auch die Sängerin Natalie Holer alias Cascada in diesem Club einreihen. Eigentlich soll sie mit dem Song „Glorious“ Deutschland beim Eurovision Songcontest vertreten. Doch eben jener Song zeigt erstaunliche Ähnlichkeiten zum Vorjahressieger Euphoria der Schwedin Loreen – nicht erst beim zweiten Hören.

Glorious Euphoria: Zum Verwechseln ähnlich 05:33

Nein, bei Cascadas Glorious und Loreens Euphoria handelt es sich nicht um den selben Song. Nichtsdestotrotz klingen Cascadas aktueller Eurovision-Beitrag und der von Vorjahressiegerin Loreen aus Schweden fast identisch. Man ersetze das Wort „euphopria“ mit „glorious“, ändert das Tempo – Schwupps hat man einen neuen Gewinner-Titel. So dachten jedenfalls die Bonnerin Natalie Holer und ihre Produzenten DJ Manian und Yanou, die zusammen in Europas Discos als Cascada auftreten. Doch diesmal scheint das Erfolgsrezept nicht ganz aufzugehen. Sprachwissenschaftler der Uni Kiel entdeckten in einer phonetischen Analyse die frappierenden Ähnlichkeiten der beiden Songs, wie Tina John, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Phonetik, erklären kann:

Wenn man die Strophen am Anfang vertauschen würde, fangen beide mit dem phonetisch gleichen Wort an. Dieses „no/know“. Witzigerweise liegt darüber ein stilistisches Mittel, diese Aspiration nach dem Vokal, ein Hauchen. Das haben beide an der gleichen Stelle eingesetzt. Und nach einer Pause genau das gleiche nochmal. In den anderen beiden Strophen ist es das „why“. Auf Arrangement-Eben ist es relativ offensichtlich: Strophe, Strophe, Refrain, Strophe, dann Refrain und diese Ausleitung. Ungewöhnlich daran ist, dass der Refrain in beiden Liedern in zwei Teile geteilt ist, dass die Strophen zwei Mal wiederholt werden.

Das Ganze sorgt für Diskussionsstoff – auch bei eingefleischten Grand-Prix Fans. Es stellt sich die Frage: Darf ein kopierter Dance-Titel bei einem europäischen Liederwettbewerb an den Start gehen? Auch in NDR-Kreisen, der Rundfunkanstalt, die den Eurovision Songcontest überträgt, diskutiert man den Fall ausführlich. Dr. Irving Wolther betreut die Eurovision-Redaktion beim NDR musikwissenschaftlich. Trotz aller Ähnlichkeiten der beiden Songs, glaubt er nicht, dass Cascada vom Wettbewerb ausgeschlossen werden muss:

Nun, in der Vergangenheit gab es unendlich viele Plagiatsvorwürfe im Rahmen des Eurovision Songcontests. Das ist für die Europäische Rundfunkunion aber völlig irrelevant. Das einzige Ausschlusskriterium Für einen Beitrag beim Eurovision Songcontest ist die Vorveröffentlichung. Und so lange der Beitrag von Cascada nicht vorher schon einmal gespielt wurde vor der Sperrfrist oder aufgeführt wurde, laufen wir nicht in Gefahr, dass der Beitrag disqualifiziert wird. Also ich sehe da eigentlich überhaupt keine Schwierigkeiten, dass Cascada mit diesem Song in Malmö starten.

Bleiben aber die wissenschaftlichen Fakten. Nimmt man die zwei Kompositionen genauer unter die Lupe, fällt auf, wie analog Melodie, Rhythmus, Beat und Gesangsdynamik sind. Markant ist natürlich auch, in welchen Produktions-Zusammenhängen beide Titel auftauchen. Genau das gibt auch Tanja John von der Uni Kiel zu bedenken:

Es würde vielleicht nicht auffallen, wenn sie drei Jahre auseinander wären und wenn das einen ganz anderen Kontext hätte, einfach nur so in den Charts wäre. Aber beide beide Lieder treten halt mit dem gleichen Arrangement beim gleichen Contest an. Das macht die starken Ähnlichkeiten der beiden Lieder sehr merkwürdig.

Die Plagiats-Schlinge um Glorious zieht sich weiter zu. Der Siegestriumph vom vergangenen Donnerstag, an dem der Titel unter anderem von einer Fachjury gewählt wurde, ist längst verblasst. Statt um die Partyorganisation kümmern sich der NDR und die Europäische Rundfunkunion, die den Wettbewerb ausrichtet, erstmal um die Prüfung des Liedes. Welche Schritte genau folgen, weiß Dr. Irving Wolther:

Der NDR wird jetzt wahrscheinlich mit der Europäischen Rundfunk-Union in Kontakt treten und dann werden die prüfen, inwiefern die Vorwürfe weitere Schritte fordern. Meines Erachtens ist das Ganze ein Sturm im Wasserglas. Da wird jetzt gerade von vielen dieses neue Bewertungsverfahren kritisiert und das auf dem Rücken des Siegers ausgetragen. Es ist halt ein Musiktitel und es ist ein Musikwettbewerb und da sollte man sich vielleicht nicht so rein steigern.

Wer am Ende für Deutschland beim Folklore-Musik-Event Nummer eins im schwedischen Malmö Mitte Mai singt, bleibt offen. Tina John von der Universität Kiel hat einen Lösungsansatz für die Frage, was eigentlich ein Plagiat in der Musik ist:

Das müsste man erst mal definieren. In der Musik ist das ein bisschen was anderes als z.B. in der wissenschaftlichen Arbeit. Da ist es relativ gut festgelegt, was ein Plagiat ist. Aber was ist ein Plagiat in der Musik? Wenn ich da wissenschaftlich ran gehe, würde ich erst mal eine ganze Menge solcher Lieder aus dem gleichen Genre derartig vergleichen, wie ich es grade mit diesen beiden gemacht habe und eine Statistik drüber laufen lassen. Das ist das normale wissenschaftliche Vorgehen. Dann könnte man eine Ähnlichkeits-Metrik bestimmen.

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