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Kadavar: “Bei uns feiern Leute zusammen, die sich in der U-Bahn nicht angucken”

Bei den Konzerten der Band Kadavar kann man beobachten, wie Skater auf Alt-Hippies treffen und Metaller an der Bar Hipstern zuprosten. Mit einer Mischung aus Stoner-Rock, 70er-Jahre Hardrock und Metal vereint die Berliner Band Fans aus den verschiedensten Lagern. Das Konzept geht auf: Kadavar touren unermüdlich um den Erdball. Wir haben uns dem Phänomen Kadavar angenähert und die Band ins Studio eingeladen.

Das Interview zum Nachhören

Die Band Kadavar zu Gast bei detektor.fm 10:03

Das Interview zum Nachlesen

Ihr habt DIY angefangen, bei einem kleinen Label aus Münster. Jetzt seid ihr beim größten Metal-Label der Welt. Und das innerhalb von etwas mehr als einem Jahr. Was sind die Unterschiede und warum kann ein kleines Label ab einem bestimmten Punkt nicht mehr so agieren wie ein großes?

Tiger: Der Unterschied bei uns liegt darin, dass Chris alles alleine macht. Bei Nuclear Blast gibt es zig Leute, die die Arbeit machen. Hinzu kommt, dass der Vertrieb viel flächendeckender ist.

Lindemann: Wichtig war, dass sich die Arbeit von uns nicht verändert. DIY-mäßig heißt ja in dem Fall auch, dass wir unsere Platten selber produzieren, selber aufnehmen, komplett freie Hand haben, unsere Videos selber machen und alles selbst entscheiden können. Nuclear Blast hat uns das auch zugesichert, daher hat sich von unserer Arbeitsweise her nichts verändert.

Seit fast zwei Jahren seid ihr ständig auf Tour, habt so gut wie jedes europäische Land bespielt. Letzten Monat wart ihr auch in den Staaten, beim SXSW. Verändert einen das?

Tiger: Ich glaube, es gibt grundsätzlich zwei Aspekte: Einmal, dass wir unsere Freunde weniger sehen und dass wird mehr und mehr zu einem Problem, weil es ein dauerhafter Zustand wird. Man ist wenig zu Hause, um mal runterzukommen. Wir waren jetzt in Amerika mal ein paar Tage in der Wüste, wo es absolut still war und da hab ich gemerkt: Es ist lange her, dass so etwas mal passiert ist.

Das andere Ding ist: Wir sind alle entspannter geworden. Durch den ganzen Stress, durch Situationen, die man bewältigen muss. Am Ende bekommt man es meistens irgendwie hin. Uns kann echt nicht mehr so viel schocken wie vor zwei Jahren.

Lindemann: Ja, man nimmt es alles ein bisschen lässiger. Aber wie Christoph schon sagte, der nötige Ausgleich fehlt schon manchmal. Einfach nach Hause kommen, mit den Leuten, die einem wichtig sind. Einfach abends essen oder tagsüber etwas machen. Dieser Ausgleich, wo man nicht als Bandmitglied von Kadavar gesehen wird, sondern als „Privatperson“.

Nicht, dass ich ein andere wäre, aber einfach ohne diesen ganzen Musikkram drum herum. Einfach mal wieder ganz normal miteinander reden. Das fehlt schon manchmal. Wir müssen auf jeden Fall schauen, dass wir das dieses Jahr hinbekommen und das oft genug passiert.

„Nach 100 Konzerten braucht man eine Pause“

An anderer Stelle habt ihr gesagt, dass es euer Ziel ist, im Jahr 2013 alle Kontinente zu bespielen.

Lindemann: Das war unser ausgemachtes Ziel, das stimmt. Wir müssen es einfach schaffen, das perfekte Level zu finden. Dass wir uns gut fühlen beim Spielen, dass wir jeden Abend alles geben können, gleichzeitig aber auch für uns persönlich den Ausgleich schaffen, um dann wieder gestärkt in die Tour gehen zu können. Ansonsten sind wir irgendwann nur noch Wracks.

Tiger: Wir wollen ja auch nach wie vor so viel spielen wie es geht. Alle die uns sehen wollen, sollen die Chance kriegen. Wir machen das ja auch gerne. Live spielen ist am Ende das, warum wir die Band haben. Wenn man mehr als 100 Shows spielt, dann braucht man einfach zwischendurch mal eine Pause.

Mittlerweile fliegt ihr öfters, z.B. wenn ihr an einem Tag in Barcelona spielt, am nächsten in Dänemark. Trotzdem verbringt ihr bestimmt die meiste Zeit im Tourbus. Was sind so die Topbands im Bus, die ihr hört?

Tiger: Die gibt’s glaub‘ ich nicht. Das ist jede Tour was Anderes. Jetzt in Spanien haben wir z.B. mal gar keine Musik gehört, das war auch total cool.

Lindemann: Wir waren mal mit einer anderen Band auf Tour und da war eine Woche lang Ruhe im Bus. Letztes Jahr auf der Tour ist oft Uncle Acid & The Deadbeats gelaufen. In Amerika haben wir viel The Doors und Beatles gehört. Das ist leichte Kost und man freut sich immer auf den nächsten Song bei solchen Platten.

Als Außenstehender würde man meinen, ihr seid als Band gerade genau da, wo ihr immer hin wolltet. Trotzdem hat euch gerade ein Bandmitglied verlassen. Welche Probleme gibt es im Mikrokosmos „Band“, die man von außen vielleicht gar nicht so wahrnimmt?

Tiger: Wir sind ja im Prinzip auch ganz normale Leute, die wie jeder andere Mensch Probleme haben. Das, was andere Leute von der Band sehen, ist ja wirklich nur der kleine Ausschnitt. Dass Philipp ausgestiegen ist, dazu kann man nur so viel sagen: Er hat für sich entschieden, dass ihm das, wie er gesagt hat: „persönlich und musikalisch nicht mehr so gepasst hat“. Ich denke, das hat sich auch schon seit einiger Zeit abgezeichnet. Als wir aus den USA wiederkamen, ist es rausgekommen. Wir respektieren das, sehen nach vorne. Ich denke, mit Simon haben wir einen guten Ersatz gefunden.

Lindemann: Es sind immer noch drei Individuen. Jeder geht anders mit Problemen um und jeder verarbeitet das anders und setzt sich auch andere Ziele. Was wir als Band in dem letzten Jahr durchgemacht haben, machen andere vielleicht in zehn oder fünf Jahren durch. Bei uns geht alles superschnell und da können natürlich solche Probleme relativ schnell wachsen. Irgendwann kommt man einen Punkt, an dem man sagt: „Bis hierhin und dann geht’s halt nicht mehr weiter.“ Und dann geht man eben.

Hypewertzeit und Publikum

Im Moment geht’s ständig bergauf bei euch. Seid ihr darauf vorbereitet, dass die Aufmerksamkeit auch mal wieder abnehmen könnte?

Tiger: Wir denken nicht, dass das bis an unser Lebensende funktioniert. Das ist einem schon bewusst.

Lindemann: Jetzt ist gerade die Musik der Mittelpunkt, aber wenn das wieder wegrücken sollte und die Arbeit wieder in den Mittelpunkt rücken müsste, ist das auch ok. Wir spielen lange genug in Bands und touren lange genug rum, um zu wissen, wie es ist, in jedem AJZ auf dem Boden zu schlafen, keine Gage zu bekommen und gerade so mit Spritkohle von der einen Stadt in die nächste zu kommen. Das haben wir auch lange genug gemacht. Es ist nicht so, dass wir gestern angefangen haben Mucke zu machen und heute pennen wir im Hotel.

Tiger: Das funktioniert ja auch, mit meiner anderen Band. Mit deinen alten Bands war das auch so, dass du was anderes finden kannst, was dich erfüllt. Du machst die Mucke eben nebenbei und es macht genauso viel Spaß. Solange die andere Arbeit, die wir jetzt z.B. nicht mehr machen können, irgendwas ist, was auch cool ist, schmälert das ja dein Leben nicht.

Warum sprecht ihr mit eurer Musik so viele verschiedene Leute an? Es muss ja einen bestimmten Ursprung oder Grund geben, warum zu euren Gigs, Metaller, Althippies, Hipster und Skater gehen?

Lindemann: Vielleicht ist die Musik, die wir machen, nicht einfach so typisch Stoner-mäßig, wie das vielleicht andere praktizieren. Wir haben zwar schon diese ganzen langhaarigen Metal-Leute am Start, machen ja auch in einer gewissen Art und Weise Oldschool-Doom-Metal. Deswegen decken wir die Szene relativ gut ab und die ist uns auch wichtig.

Das mit den Skater-Kids kam vielleicht dadurch, dass wir mit unseren Songs in diesen Trasher-Videos drin waren. In den Skate-Videos. Man merkt in den USA, dass die Skater-Szene sich gerade wieder zurückbewegt in diese 70er-Schiene und wir da wahrscheinlich genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren.

Althippies? Ja, wir sehen vielleicht aus wie die früher oder wie sie aussehen wollten. Vielleicht bringen sie auch ihre Kinder mit. Ich freue mich total, dass es so ist. Das macht es einfacher. Jeden Abend so einen Querschnitt von diesen Leuten zu treffen. Da haben Leute zusammen Spaß, die sich vielleicht sonst in der S-oder U-Bahn nicht angucken würden, dann aber trotzdem einen Nenner finden und an einem Abend zusammen abhängen, dasselbe abfeiern und sich später vielleicht noch an der Bar treffen. Das könnte auch der Grund sein, warum es mit uns so schnell gewachsen ist, weil es nicht nur eine Subkultur anspricht, sondern am Ende doch eine breitere Masse als andere Bands.

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