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Will Sheff ist das einzige verbleibende Gründungsmitglied der Band, die 1998 gegründet wurde. Foto: PR
Will Sheff ist das einzige verbleibende Gründungsmitglied der Band, die 1998 gegründet wurde. Foto: PR

Okkervil River und ihr neues Album „Away“

Okkervil River – R.I.P.?

Es stand unter keinem guten Stern, das achte Album der amerikanischen Folk-Rock-Band Okkervil River. Es war nicht mal klar, ob und wie es überhaupt veröffentlicht wird. Aber der Kopf der Band Will Sheff hat aus den Problemen Musik gemacht. Jetzt ist „Away“ also doch noch erschienen.

Der Alltag der meisten Menschen besteht aus festen Strukturen. Aufstehen – Arbeiten – ein bisschen Freizeit oder Familie – Schlafen. Die Musik der meisten Folk-Songwriter besteht aus festen Strukturen. Eindeutige Instrumentierung und Kopf mit Stimme, die etwas zu erzählen haben. Wenn es jetzt den Alltag eines Songwriters komplett aus der Bahn haut – was passiert dann mit seiner Musik?

Aufreibende Schicksalsschläge bilden den Ausgangspunkt von „Away“. Folgendes hat der Kopf von Okkervil River Will Sheff so alles zusammengetragen: Er hat Familienangehörige verloren, all seine Bandkollegen bei Okkervil River und irgendwie wohl auch den Kontakt zur Musikindustrie.

Alles anders. Alles Umbruch.
Und die Musik klingt erst mal – gleich.

https://vimeo.com/174790378

Zu vertraut

„Away“ startet unspektakulär in mittlerweile bewährter Okkervil River Tradition. Akustik-Gitarre, Steigerung, eine Instrumentierung die sich verdichtet und darüber Sheffs tolle, immer leicht labile Stimme. Die lärmenden Ausbrüche von früher sind ja schon länger nicht mehr so präsent in der Musik der Amerikaner. Das geht beim Opener „Okkervil River R.I.P.“ schon so klar, ist aber sehr vertraut und mit einer Dauer von knapp sieben Minuten auch etwas lang. Und so geht es weiter.

Der nächste Siebenminüter „Call Yourself Renee“ startet mit schönem Streicherintro das Sheff angeblich auf einem Trip geschrieben hat. So außergewöhnlich ist’s dann aber doch nicht. Und die schief-schönen Töne des Anfangs dürfen dann leider auch nicht mehr mitspielen, sobald Sheff mit der Gitarre einsteigt.

Denn um die Gitarre und ihre Akkorde herum sind alle Songs gebaut. Auch wenn die Tracks dicht arrangiert und vom Orchester eingespielt sind – in welche Richtung es geht, das sagen immer Sheff und seine Gitarre. Das ist schade. Denn auf sieben Minuten tragen die Akkordfolgen nicht und schreien tut Shef sowieso nicht mehr. Bei der Vielzahl an Instrumenten und der hellhörigen Produktion wäre hier mehr dramaturgische Spannung drin gewesen. Er kann’s ja, hat’s ja schon oft genug bewiesen.

Ein wenig mehr Selbstironie

Als Texter von Okkervil River erzählt Will Sheff schon immer ausladende Geschichten. Auf „Away“ ist er traurig. Unzufrieden mit seinem Schicksal. Sheff zaudert und hadert dabei allerdings mehr mit seiner Umwelt als mit sich. Einem Abrechnungssong wie dem sprechenden Titel „The Industry“ hätte ein wenig Selbstironie nicht geschadet.

Ihr habt uns böserweise hinterrücks verarscht, singt Sheff. Und das zeigt seine Verbitterung deutlich. Dabei kann man auch dramatisches, autobiographisches ironisch brechen. Großmeister Mark Oliver Everett aka Eels kann einige Lieder davon singen. Bei Okkervil River fehlt das nicht nur in „The Industry“.

Kunstvoll und in herbstlichem Braun

Dabei zeichnet Sheff hübsche Bilder. Seine Texte sind kunstvoll und in einem herbstlichen Braun gehalten. Die tiefere Auseinandersetzung mit sich selbst geht aber häufig nicht über diese erste Ebene hinaus. In „Days Spent Floating In the Half Between“ beschwört er die Metapher atonaler Musik. Er würde gerne sterben, zwischen zwei Tönen, in einer 12-Ton-Skala. Aber, so zynisch das auch klingt, im Kontext des Albums ist das eben auch nichts Neues. Es lässt einen daher textlich seltsam kalt.

Bei „Days Spent Floating In The Half Between“ ist das aber zu verkraften. Das Finale von „Away“ ist der Abschluss der zweiten Hälfte des Albums. Und die ist deutlich lebhafter, dynamischer, und musikalisch interessanter als die erste. Das wunderbar unruhige, zittrige, suchende „Judey On A Street“ steht als bester Track genau in der Mitte des Albums.

Aber auch „Frontman in Heaven“, das sich beständig immer weiter in eben jenen Himmel hochschraubt ist eine wahre Perle. Hier stimmt alles. Die Instrumentierung. Die Komposition. Die Verzahnung von Text und Musik.

Die musikalische Frische, die die zweite Hälfte von Away durchzieht hilft einem, das etwas bräsig müffelnde Songwriter-Handwerk der ersten Hälfte zu akzeptieren. „Away“ als wohl dringend nötiger Seelenstriptease eines Mannes, der uns mit seiner Band schon so wunderbare Platten geschenkt hat, geht also – schon klar.

Redaktion: Jakob Bauer

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