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Saitenwechsel: Auf den Spuren des Gewandhaus-Sounds

In der Popmusik gibt es Trittbrettfahrer, die so klingen wie diese eine angesagte Band. Und es gibt Bands, von denen sagen die Leute: „Die haben ihren eigenen Sound gefunden.“ Dem Gewandhausorchester sagt man das auch nach. Aber wie kann sich ein Orchester überhaupt profilieren? Schließlich muss es sich nach Komponisten, Dirigenten und Partituren richten. Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Wer es im Popgeschäft zu etwas bringen will, muss irgendwas haben, was andere nicht haben – einen „Unique Selling Point“, wie es im Marketing-Sprech immer so schön angestrengt heißt. Jimi Hendrix war der Gitarrengott, die Bee Gees harmonierten in höchsten Tonlagen und Michael Jackson konnte den Moonwalk. Aber wie kann man sich eigentlich in der Klassik profilieren? Orchester müssen sich ja nach Komponisten, Drigenten und Partituren richten. Und ob mir jetzt dieses oder jenes Orchester den Schuhmann spielt – am Ende kommt doch eh ein und dasselbe dabei raus, oder?

Nein, das ist völliger Unfug.

… sagt Eleonore Büning. Und die muss es wissen, denn sie ist Musikchefin bei der FAZ und kennt sich mit den Orchestern dieser Welt aus. Sie belehrt mich, dass sich Orchester sehr wohl unterscheiden, vor allem klanglich. Dem Gewandhaus-Orchester z.B. sagt man überall auf der Welt nach, es habe seinen eigenen Sound. Mythos oder erklärbares Phänomen?

Es ist erklärbar. Und zwar geht es um den sogenannten deutschen Klang. Es gibt z.B. verschiedene Möglichkeiten, Orchester aufzustellen, also die amerikanische und die deutsche Aufstellung. Ganz grob gesagt: Bei der einen stehen die Kontrabässe rechts, bei der anderen links. Bei der einen Aufstellung sind die ersten und zweiten Geigen wie im Kampf gegenübergestellt, bei der anderen sitzen sie nebeneinander. Das heißt, da gibt es eine größere Homogenität.

Und die Aufstellung ist nur einer von vielen Punkten, die den Klang beeinflussen. Auch geschichtlich lässt sich das erklären.

In der DDR, die wie eine Käseglocke abgeschottet war von der Entwicklung in der westlichen Welt, hat sich dieser alte deutsche Klang in den Orchestern über all die Jahre dort erhalten. Nach der Wende gingen uns plötzlich die Ohren auf, als man das festgestellt hat. Die Berliner Philharmoniker etwa sind ja auch ein klassisches deutsches Orchester, haben aber ein viel amerikanisches Klangbild.

Na gut, dann begeb ich mich mal auf die Spuren des Gewandhaus-Sounds. Laut Gewandhausdirektor Andreas Schulz zeichnet er sich aus durch:

einen sehr dunklen, erdfarbenen, dennoch sehr transparenten und nicht mulmigen Klang; diesen sehr satten, vollen, fast schon etwas basslastigen Streichersound. Außerdem ist er sehr obertonreich, klingt aber nicht so hell wie manche amerikanischen Orchester beispielsweise.

Was zu beweisen wäre. Ich mache die Probe aufs Exempel und höre zuerst eine Aufnahme vom Gewandhaus-Orchester, Tschaikowskys Sechste. Und gleich danach dieselbe Stelle, gespielt von den New Yorker Philharmonikern. Und tatsächlich, ein bisschen heller klingen die New Yorker schon. Erklären lässt sich das zum Teil in der Bauart der Instrumente. Ich treffe den Solo-Posaunisten des Gewandhausorchesters Tobias Hasselt. Er hat sowohl eine deutsche Posaune als auch eine amerikanische. Die lass ich mir beide vorführen.

Das ist meine deutsche Posaune, mit der ich auch im Orchester spiele. Man sieht es hier, dass der Trichter, also der Schallbecher am Ende der Posaune deutlich größer ist. Ich pack mal die andere dazu aus. Das ist die am meisten verbreitete amerikanische Posaune, eine „Vincent Bach“. Die Mensur, also der Durchmesser des Rohres am Beginn, ist hier etwas größer als bei meiner deutschen Posaune.

Es gibt also Größenunterschiede. Aber wie schlägt sich das im Klang nieder? Hasselt greift zur deutschen Posaune und setzt an. Danach die amerikanische. Man braucht schon geübte Ohren, um den feinen Unterschied rauszuhören. Wenn es aber darum geht, die Posaune gut im Orchesterklang zu platzieren, sind da Welten zwischen den beiden Bauarten.

Im Verhältnis zu den amerikanischen Posaunen sind die deutschen nicht so prägnant. Gerade in modernerer Musik gibt es viele prägnante, kurze Einwürfe. Die sind mit einer amerikanischen Posaune leichter zu bewerkstelligen.

Die deutsche Posaune dagegen sorgt für einen dunkleren und wärmeren Klang und fügt sich so besser in den Sound des Gewandhausorchesters ein, spielt sich aber auch ein bisschen sperriger, sagt Hasselt.

Manches artikulatorische macht ein bisschen mehr Mühe. Mit den amerikanischen Posaunen ist es dafür schwieriger, ein richtiges Verhältnis im Orchesterklang herzustellen, vor allem auf dem eigenen Platz, wo man ja nur sich selbst und die anderen ringsrum hört. Da ist es schwieriger, nicht herauszuplatzen bei vielen Dingen.

Halten wir also fest: Es gibt verschiedene Bauarten, um einen bestimmten Klang zu erreichen. Das ist in der Popmusik nicht anders. Ein Gitarrist, der auf einen satten, dunklen Blues-Sound steht, greift ja auch eher zur Les Paul als zur beißenden Stratocaster. Doch Technik allein macht noch keinen einzigartigen Sound. Entscheidend ist, wie man mit den Instrumenten umgeht, welche Spielkultur man pflegt. Auch hier gibt es zwischen amerikanischen und deutschen Orchestern gravierende Unterschiede, sagt Gewandhaus-Bratscher Konrad Lepetit.

Die amerikanischen Orchester spielen sehr viel mehr auf den Punkt. Das heißt, es gibt eine gewisse Härte, von der der Klang sich auslöst. Bei uns gibt es beim Tonanfang einen runden Einstieg – eine Farbgebung, die sich innerhalb eines Klanges entwickelt, die in einem Ton eine gewisse Dynamik hat.

Das ist schon verrückt, dass man einem ganzen Orchester einen bestimmten Klang zuschreiben kann. Ich meine, da sitzen etwa 120 Musiker auf der Bühne, 120 Individuen, die als homogene Masse funktionieren. Wie machen die das, Eleonore Büning?

Man weiß, dass bestimmte Vorstellungen, wie eine Melodie zu phrasieren ist, wie die Bogenführung ist, ob man einen Auf- oder Abstrich macht, wie das Legato, also die Verbindung von einem Ton zum anderen funktioniert – das wird von einem Konzertmeister auf den anderen weitergereicht. Auch bei den Holzbläsern gibt es bestimmte Techniken, die in einem Orchester üblich sind. Und dann kommt ein junger Oboist in das Orchester rein. Der übernimmt das von dem Kollegen, der da schon sitzt und führt das weiter. Da gibt es gewisse Traditionen.

Und die gibt es schon ziemlich lange. Mendelssohn hat genau dafür 1843 die erste Musikhochschule Deutschlands gegründet, in Leipzig. Und bis zum Ende der DDR waren die Lehrenden mehrheitlich Musiker des Gewandhausorchesters. Mittlerweile, sagt Konrad Lepetit, ist diese Tradition zugunsten größerer Internationalität aufgelöst worden.

Wir haben viel mehr internationale Beteiligung im Orchester und damit auch einen größeren Einfluss von ganz anders geschulten Musikern, die aber in den meisten Fällen bemüht sind, die Kultur hier zu studieren. Das sind Vorgänge, die sie in dem Maße zu Hause nicht auf diese Art gelernt haben. Da gibt’s hier auch eine große Bereitschaft, das den jüngeren Leuten zu erklären. Das kann man nicht mit Worten machen, so wie ich das jetzt versuche.

Sondern indem man die Grünschnäbel im Orchester neben die alten Hasen setzt, wo sie lauschen, lernen und im Idealfall die Spielweise übernehmen – ein Prozess, der laut Lepetit Jahre dauern kann. Und wer sich in seiner einjährigen Probezeit nicht darauf einstellen kann, wird  von Gewandhaus-Direktor Andreas Schulz nicht engagiert:

Wir gucken bei den Probespielen sehr genau, wo die Musiker herkommen – aus welchen Schulen und Traditionen kommen sie? Sie müssen nicht nur menschlich, sondern auch klanglich in das Orchester reinpassen. Die eigentliche Visitenkarte eines Orchesters ist heute der Klang: Klingt es 0815, wie andere oder hat es einen ganz bestimmten Klang?

Und so ist es ja letztendlich auch in der Popmusik. Es gibt Trittbrettfahrer, die so klingen wie die eine Band, die gerade so angesagt ist. Und es gibt Bands, von denen sagen die Leute: Die haben ihren eigenen Sound gefunden. So wie das Gewandhausorchester den Gewandhaus-Sound gefunden hat. Und ich jetzt auch – glaube ich jedenfalls.

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