Saitenwechsel | Beethoven 2020

Der ewige Fremde

2020 bricht an und damit das Beethoven-Jahr – 250. Geburtstag, ein riesiger Anlass, über Beethoven zu sprechen, nachzudenken, seine Musik aufzuführen. Aber eigentlich hat er ein solches Jubiläum gar nicht nötig. Was gibt es noch Neues zu sagen zu Beethoven? Wie kann man sich ihm musikalisch und menschlich annähern?

Warum ist Beethovens Musik so dauerhaft relevant, dass er kein Jubiläum nötig hat? Und was sagt uns Beethoven 2020?

Darüber denkt die Klassikwelt in verschiedenen Ausprägungen nach. Das Podium Esslingen hat unter #bebeethoven schon mit reichlich Vorlauf zum Jubiläumsjahr Fellowships vergeben um junge Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt auf diese Fragen anzusetzen. Sie sollen destillieren, was heute in der Musikwelt so revolutionär ist, wie Beethovens Musik zur damaligen Zeit.

Zunächst: Was war denn damals so revolutionär an seiner Musik? Für den Dirigent Omer Meir Wellber, dass er aus einer kleinen musikalischen Idee etwas Großes macht.

Ich finde das ist sehr humanistisch: Das ist armes Material, sehr einfach, ein Takt oder eine Idee, da da da dam, und dann kommt eine vierzigminütige Sinfonie nur von diesem Material.Omer Meir Wellber, Dirigent 

Und das kam nicht wie man es sich romantisch vorstellt als genialer Geistesblitz, sondern durch harte Arbeit, stundenlanges feilen und denken an der Partitur.

Beethoven 2020 – Anlass für neue Komposition

Auch die Komponistin Ella Milch-Sheriff findet diese Art des Komponierens bemerkenswert. Sie hat im Kompositionsunterricht genau das studiert: wie Beethoven aus wenig Material ganze Sonaten und Sinfonien entfaltet. Für sie ist Beethoven gewissermaßen die Basis und gleichzeitig auch ein großer Schatten:

Wir alle Komponisten haben auf unseren Schulten diese große Komponisten. Wenn ich denke an Bach und Beethoven, Schubert und Mendelssohn, kann ich nicht komponieren. Nur wenn ich vergesse, dass es diese große Musik gab, kann ich meine Noten zusammenbringen. — Ella Milch-Sheriff, Komponistin

Zum Jubiläumsjahr hat sie vom Gewandhausorchester und zwei weiteren den Auftrag bekommen, ein neues Werk zu komponieren.
Sie hat als Zugang einen Brief von Beethoven aus dem Jahr 1821 gewählt, den er an seinen Freund Tobias Haslinger schreibt. Darin übermittelt er ihm einen Kanon: „O Tobias, Dominus Haslinger“ — Beethoven war anscheinend noch zu Scherzen aufgelegt, obwohl zu dem Zeitpunkt schon krank.

Beethoven in der arabischen Welt

Abseits von Albernheiten und Wortspielen erzählt Beethoven in dem Brief auch die Geschichte, der Kanon sei ihm in einem Traum eingefallen: er träumte von einer Reise nach Syrien, Arabien und schließlich Jerusalem.

Diese Fantasie greift Ella Milch-Sheriff auf, die selbst aus Israel kommt. Musikalisch verwendet sie den Kanon als Material, bringt Klänge der traditionellen arabischen Musik ein, zum Beispiel durch die Darabuka-Trommel. Dazu kommt eine weitere Ebene durch einen Erzähler. Sie bittet den israelischen Dramatiker Joshua Sobol ausgehend von dem Traum etwas zu schreiben. Mit Beethoven muss es nicht direkt zu tun haben.

Herausgekommen ist „Der ewige Fremde“, der Monolog einer Person, die sich in einem fremden Land wiederfindet, wo sie sich nicht verständigen kann. Inwiefern diese aktuelle politische Interpretation auch mit Beethovens Biographie zu tun hat, ergründet Eva Morlang im Saitenwechsel.