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Saitenwechse: Das klassische Konzert – gestern, heute, morgen

Das klassische Konzert – wie ist es entstanden, wo steht es heute und wohin geht die Reise in Zukunft? Braucht es dringend neue Aufführungskonzepte, um das klassische Konzert zu erhalten? Oder ist eigentlich alles gut so wie es ist? Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Wer heute zu einem Konzert geht, tut das vor allem um der Musik willen. Ist ja klar. Dreht man das Geschichtsrad aber ein paar hundert Jahre zurück, sieht das etwas anders aus. In ihren einerseits höfischen, andererseits kirchlichen Ursprüngen war Musik damals vor allem funktionell, berichtet Martin Tröndle, Autor des Buches Das Konzert.

Man machte nicht einfach Musik um der Musik willen, so wie wir das heute kennen, wenn wir ins Konzert gehen. Die Musik diente der Erbauung, dem Gottesdienst oder der Huldigung des Kaisers bzw. Königs. Das heißt, die Musik stand nicht im Zentrum des Interesses sondern war eher ein Beigeschmack.

Aus diesem Beigeschmack hat sich über viele Jahre hinweg das bürgerliche Konzertwesen entwickelt. Im frühen 19. Jahrhundert lief das aber noch ein bisschen anders ab als heute. Die Konzerte waren bis zu acht Stunden lang. Man konnte während des Konzerts rein- und rausgehen. Und ganze Sinfonien zu spielen war verpönt. Das muss man sich ungefähr so vorstellen wie ein Rockkonzert mit einzelnen Sets verschiedener Bands.

Erst gegen 1870 hat sich die Form herausgebildet, die wir heute kennen: Vorn die Bühne, dahinter Stuhlreihen und ein Publikum, das nicht redet oder umherläuft während des Konzerts. Dass sich überhaupt so ein bürgerliches Konzertwesen entwickelte, hat vor allem soziale Beweggründe. Für Tröndle ist das vergleichbar mit heutigen Jugendkulturen.

Egal ob sie Pop, Punk, Beat oder Techno anhören – all diese Kulturen stehen nicht nur für eine bestimmte Musik sondern auch für einen bestimmte Weltdeutung. Die Leute haben bestimmte Kleider an, haben ihre eigenen Symbolik und Sprachlichkeit – und lösen immer wieder Jugendbewegungen aus, in denen Musik ein ganz starker Identifikationsmoment ist. Genau so muss man sich die Klassik im 19. Jahrhundert vorstellen.

Na klar, man will dazugehören, Teil einer Jugendbewegung sein, aber Klassik als coole Jugendkultur – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat sich nicht mehr viel getan in der Aufführungsform des klassischen Konzerts. Tröndle begründet das mit der Verstaatlichung der Konzerthäuser und Orchester.

Man bekommt jährliche Zuwendungen in Millionenhöhe und diese Zuwendungen sind eigentlich erfolgsunabhängig. Das hat dazu geführt, dass sich eine Blase gebildet hat. Mit Institutionen, die im späten 19. Jh. gegründet wurden, mit einem Repertoire, dass sich größtenteils an das 19. Jh. anlehnt. Doch die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt und ein Großteil des Publikums kann mit diesen tradierten Aufführungsformen, die 1880 aktuell und hip waren, nichts mehr anfangen.

Steckt das klassische Konzert heute in der Krise? Stehengeblieben im 19. Jahrhundert – ein altes Relikt, für das sich nur noch ein paar Greise interessieren? Nicht ganz so pessimistisch sieht das der Geschäftsführer der deutschen Orchestervereinigung Gerald Mertens.

Die Konzertzahlen sind stabil. Es gibt erfreuliche Zuwächse im Bereich von Schülerkonzerten, also auch im Bereich von Kinder-, Jugend- und Medienkonzerten. Hier hat sich in den vergangenen Jahren Einiges getan. Auch die Besucherfrequenz, jedenfalls die, die wir als stichprobenartig als Verband herausbekommen, ist erfreulich. Es gibt sehr viele Veranstaltungen, die sehr hoch ausgelastet oder teilweise ausverkauft sind. Von einer Krise der Klassik insgesamt kann man nicht reden.

Bleibt die Frage, wie es um das Nachwuchsproblem steht. Ist der viel zitierte „bildungsbürgerliche Silbersee“ real oder nur ein hysterisch hochgeschaukelter Medienbegriff? Nachgefragt bei Kulturforscherin Susanne Keuchel, Autorin des Jugendkulturbarometers.

Es ist in der Tat so und das war auch schon 2004 zu beobachten, dass junge Leute vergleichsweise selten angeben, sich für klassische Musik zu interessieren. Das lag 2004 bei neun Prozent, liegt jetzt 2011 bei zehn Prozent.

Eine überschaubare Zahl – und statistisch belegen lässt sich auch, dass junge Menschen klassische Musik automatisch einem älteren Publikum zuschreiben.

Was sich im Vergleich von 2004 zu 2011 verfestigt hat, ist eher die Beobachtung, dass junge Leute im Gegensatz zu älteren Bevölkerungsgruppen sehr stark auf altersspezifische Präferenz-Modelle referieren. Das heißt, 2011 etwa haben wir sie gefragt, wenn ihr 45 wärt, würdet ihr denn dann ein klassisches Konzerte oder klassisches Theater besuchen? Da sagen dann 70 Prozent „Ja“.

Was also tun, um das klassische Konzert auch für ein junges Publikum wieder attraktiv zu machen? Ansätze gibt es allerhand: Ob Lunchkonzerte, Crossover oder moderierte Veranstaltungen. Die Kunst dabei sei es, das alte Konzertpublikum mit den neuen Ideen nicht zu verprellen, meint Gerald Mertens. Es gibt eben nicht das EINE Konzertpublikum.

Man muss aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet. Den 70-jährigen Abonnenten zu verschrecken, indem ich alles umstoße – das bringt es nicht. Ich muss das klassische Konzert nach wie vor anbieten für ein konservatives Publikum, dass das auch nach wie vor so haben möchte. Und ich muss daneben neue Formate für andere Publikumsschichten entwickeln. Ich denke dieser Dualismus wird in der Praxis auch schon umgesetzt.

Der Mix aus neuen Formaten und altem Kulturgut wird wohl auch in den kommenden Jahren das Konzertwesen prägen. Auch im Gewandhaus experimentiert man fleißig mit alternativen Aufführungsformen, verliert aber die alten Helden nicht aus den Augen. Mit diesem Ansatz – und da ist sich auch Gewandhausdirektor Andreas Schulz sicher – wird das klassische Konzert weiterleben.

Denn in der über 300-jährigen Geschichte des Konzertwesens ist noch nie ein Publikum ausgestorben. Aufgrund der Bevölkerungsstruktur und –Schichten hat es immer enorme Verschiebungen gegeben. Das heißt aber nicht, dass man sich darauf ausruhen kann und nur überlegt, wie man die Formate verändert.

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