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Saitenwechsel: Die Sitzordnung

Warum sitzt das Orchester so wie es sitzt? Warum sind die ersten Geigen immer links und die Bläser immer hinten? Kann man das nicht auch mal aufbrechen? Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Wenn eine Band auf einer Bühne steht, ist es eigentlich schnuppe, wer wo steht. Die Instrumente werden verstärkt und vom Tontechniker so eingestellt, dass alles passt. Das ist beim Orchester natürlich etwas komplexer. Verstärkt wird hier nichts und die Instrumente müssen von sich aus ein gutes Klangbild erzeugen. Steuern kann man das zum einen mit der Anzahl der Instrumente in einer Gruppe, zum anderen mit der Sitzordnung. Aber wie sitzt ein Orchester eigentlich?

Um das akustisch zu demonstrieren, mach ich jetzt mal den Chailly und lass das Orchester nach meinem Taktstock spielen. Na gut, der Taktstock ist in dem Fall eine Computer-Maus und das Orchester ist virtuell und kommt aus dem Rechner, aber man bekommt eine ganz gute räumliche Vorstellung.

Das Prinzip ist klar: Die leisesten Instrumente sitzen am weitesten vorne. Die lauteren Instrumente, die auch in der Lage sind, sich besser durchzusetzen, sitzen hinten. Was wir eben gehört haben, war eine relativ moderne und weit verbreitete Sitzordnung. Wie genau ein Orchester nun sitzt, ist aber nicht in Stein gemeißelt, erklärt mir die Musikchefin der FAZ Eleonore Büning:

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Orchester aufzustellen. Die amerikanische und die deutsche Aufstellung. Ganz grob gesagt: Bei der einen Aufstellung stehen die Kontrabässe rechts, bei der anderen links. Bei der einen Aufstellung sind die ersten und zweiten Geigen nebeneinander, d.h. es gibt eine größere Homogenität. Bei der anderen Aufstellung sitzen sie sich sozusagen wie im Kampf gegenüber. „Concertare“ heißt ja streiten.

Auch im Gewandhaus streiten sich die Geigen. Denn hier spielt man mit der so genannten deutschen Sitzordnung. Die zweiten Geigen sitzen also nicht neben den ersten, sondern ihnen gegenüber auf der rechten Seite. Welchen Effekt das hat, weiß Matthias Behrendt. Er ist Tonmeister beim MDR und macht regelmäßig Orchester-Aufnahmen.

Es ist reizvoller, die in einer Entfernung voneinander zu hören aus verschiedenen Richtungen, um die Struktur der Musik deutlicher zu machen. Wenn man Stimmen voneinander gut absetzen will, damit man sie als Konzerthörer besser verfolgen kann, dann ist es gut, wenn sie nicht hintereinander sitzen, sondern nebeneinander oder gegenüber.

Entwickelt hat sich die deutsche oder besser gesagt europäische Sitzweise aus den Anforderungen der Frühklassik, weil da die ersten und zweiten Geigen oft dialogisch gespielt haben. Der Orchestermanager des Gewandhauses Marco Eckertz erklärt, wie es dazu kam.

Die Komponisten haben immer ein Orchester vor Augen gehabt. In der Romantik bzw. Spätromantik sind Werke geschrieben worden, die das so vorsahen: erste Geige links, zweite Geige rechts. Insbesondere Mahler hat seine Werke so komponiert und dann auch Effekte reinkomponiert, die so besser funktionieren als in der amerikanischen Sitzweise.

Das berühmte Beispiel ist: Die ersten Geigen beginnen im Forte und spielen dann Diminuendo. Parallel spielen die zweiten Geigen das Gleiche umgekehrt, beginnen im Piano und enden im Forte. Es gibt also einen Stereoeffekt. Wenn die zusammensitzen würden, wäre der vergeben, dann würde man den gar nicht so realisieren. Im Publikum hat man also ein plastischeres Klangbild.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war das die übliche Sitzordnung von Orchestern. Weltweit durchgesetzt hat sich mittlerweile aber bei vielen Orchestern die zu Beginn gehörte Aufstellung, bei der die zweiten Geigen direkt neben den ersten sitzen. Man spricht hier von der amerikanischen Sitzordnung, denn die…

… hat sich Mitte des 20ten Jahrhunderts in Amerika entwickelt. Stokowski gilt als Begründer dieser Sitzweise. Es wird die Geschichte erzählt, dass er in Philadelphia Aufnahmen gemacht hat und Schwierigkeiten hatte, die ersten und zweiten Geigen zusammenzubekommen. Sie waren rechts und links vom Dirigenten und er hat sie dann zusammengeführt und direkt nebeneinandergesetzt, was für das Zusammenspiel viel einfacher ist.

Auch das Gewandhaus hat schon mit dieser modernen Aufstellung gespielt, bis Ende der 90er Herbert Blomstedt Gewandhauskapellmeister wurde und wieder auf die deutsche Sitzordnung umstellte. Karl Suske war damals Erster Konzertmeister und erinnert sich, dass die Umstellung vor allem für die zweiten Geigen gar nicht so einfach war.

Die haben sehr viel mit den ersten Geigen zusammenzuspielen und sind deswegen daran interessiert, denen so nah wie möglich zu sitzen. Wenn sie den ersten Geigen gegenübersitzen, bringt das große Schwierigkeiten mit sich. Deswegen hat sich das Orchester, als Herr Blomstedt die alte deutsche Aufstellung wieder einführen wollte, zunächst schwer getan. Besonders die zweiten Geigen, weil die sich da drüben etwas verloren vorkamen. Auf der anderen Seite führte es auch dazu, dass sie ein bisschen selbstständiger sein müssen und nicht zwingend das tun, was auch die ersten Geigen tun.

Ja, der Musiker ist nun mal ein Gewohnheitstier. Plötzlich ganz woanders zu sitzen bedeutet ja auch, dass man seine Mitmusiker auf einmal ganz anders hört und sieht. Und auch ein Dirigent muss sich umstellen. Schon blöd, wenn man mit dem Taktstock nach links schlägt und da aber wider Erwarten gar nicht die zweiten Geigen sitzen.

Auf Reisen in Amerika mit Herrn Masur habe ich erlebt, wie wir in Säle kamen, die wir noch nicht kannten und die ihm nicht gefielen. Da fand er, die Bläser und zum Teil auch die Kontrabassisten mussten einfach umgestellt werden. Die Streicher werden aber nie woanders hingesetzt.

Hm, aber kann nicht auch mal was Verrücktes machen und z.B. die Bläser nach vorne setzen. Oder ist das akustisch vollkommener Blödsinn, Tonmeister Matthias Behrendt?

Das kann man immer dann machen, wenn man als Komponist bestimmte Effekte erzielen will. In der zeitgenössischen ernsten Musik gibt es eigentlich keine solchen Standards, die nicht auch mal durchbrochen werden könnten. Wenn man eine Bläsergruppe im Klang sehr bevorzugen will, ohne dass man sie personell verstärkt und alles doppelt spielen lässt, dann kann man die ruhig auch da hinsetzen, wo sie sich im Sinne des Stückes stärker durchsetzt als sie es in ihrer normalen Sitzordnung machen würde.

Halten wir also fest: Zwei Aufstellungsmöglichkeiten gibt es. Davon aber unzählige Variationen, je nach Orchester, Werk und Konzertsaal. So ein paar grundlegende Sachen werden aber natürlich immer gleich sein. Schließlich steht ja z.B. auch bei Bands das Schlagzeug nicht ohne Grund meist hinten. Und ob nun vorn, hinten, links oder rechts…

Wichtig ist, dass alle diejenigen, die etwas Gleiches spielen, zusammensitzen. Und alle, die aufgrund der Struktur der Musik viel miteinander arbeiten müssen, also die Stimmführer der Streichergruppen und die Solo-Holzbläser, sitzen zusammen. Wichtig ist, dass die den akustischen Kontakt haben, denn Musiker brauchen das gegenseitige Hören, nicht nur damit das Musikmachen gelingt, sondern auch damit ein künstlerischer Funke entsteht, der auch aufs Publikum überspringt.

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