Saitenwechsel: Hierarchien im Orchester

„Orchester ist wie Formel 1“

In der Klassik gibt es viele Regeln. Das Orchester spielt nach einer Partitur, der Dirigent gibt die Richtung vor, es gibt eine Sitzordnung, ritualisierte Abläufe und Hierarchien. Doch ist die Arbeitswelt im Konzerthaus tatsächlich so streng und hierarchisch, wie es von außen wirkt?

+++Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.+++


Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.

Dirigent, erster Konzertmeister, stellvertretender Konzertmeister, Vorspieler, Tuttispieler – ganz schön komplex so ein Orchester-Apparat. Woran liegt das? Und geht’s in der Klassik tatsächlich so streng hierarchisch zu?

 

Henrik Hochschild ist stellvertretender Konzertmeister bei den ersten Violinen im Gewandhausorchester. Im Konzert sitzt er also neben oder hinter dem ersten Konzertmeister. Der wiederum ist der Chef der ersten Violinen. Heißt: Er setzt vor allem die Impulse des Dirigenten um.

Hochschilds Aufgabe ist es dann, diese Impulse nach hinten in die Gruppe zu tragen, zu den Tuttispielern. Das ist deswegen wichtig, weil die Violinen die größte Gruppe im Orchester sind. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wenn 16 Musiker absolut synchron genau das Gleiche machen sollen. Hochschild sagt, man müsse sich das vorstellen wie ein Formel-1-Feld beim Start.

Die Ampel geht aus und alle geben Vollgas. Im Gegensatz zum Sport fährt bei uns das ganze Fahrerfeld geschlossen mit derselben Formation und demselben Abstand um den Kurs herum. Und ganz vorn muss jemand sein, der genau weiß, in welchem Tempo man diese Kurve fahren kann, wann man zu bremsen hat und Gas geben muss, so dass das alle anderen mitbekommen, damit dahinter keine Löcher reißen.Henrik Hochschild 

Das Orchester – ein demokratisches Konstrukt

Auch wenn die Positionen von außen so streng hierarchisch klingen, verglichen mit der Arbeitswelt ist das Orchester ein ziemlich demokratisches Konstrukt. Schließlich können die Arbeitnehmer hier mitentscheiden, wer ihre zukünftigen Kollegen werden sollen.

Wird eine Stelle neu vergeben, müssen sich die Bewerber in einem Probespiel beweisen. Und zwar meist vor der versammelten Instrumentengruppe. In der Gruppe wird dann diskutiert und entschieden, wer am besten ins Orchester passt.

Überhaupt klingt das alles sehr demokratisch, wenn man sich anschaut, was zu einem Orchester alles dazugehört. Es gibt einen Vorstand, einen Personalrat, Vertrauensleute, Diensteinteiler. Einzig im Konzertsaal selbst kommt man mit Demokratie nur bedingt weiter, sagt Orchestermanager Marco Eckertz.

Wie gespielt wird, das wird im Probenprozess selten ausdiskutiert, sondern vom Stimmführer angewiesen, auch um Zeit zu gewinnen. Je kleiner ein Orchester oder Ensemble ist, desto demokratischer wird es. Bei einem Streichquartett wird der erste Geiger relativ wenig interpretatorisch festlegen, sondern wird das immer mit seinen drei Kollegen ausdiskutieren. Aber im Großen, mit 16 ersten und 16 zweiten Geigen wird das irgendwann schwierig.Marco Eckertz 

Wenn die Hierarchien so demokratisch sind, warum braucht die Klassikwelt dann überhaupt so viele Regeln? In der Popkultur spricht man ja auch nicht vom „ersten stellvertretenden E-Gitarristen“. Zeit für einen Saitenwechsel.

Redaktion