Saitenwechsel: Leonard Bernstein – Facsimile

Ballett in Zeiten von Tinder

Der Komponist Leonard Bernstein steht heute vor allem für die „West Side Story“, eine Art modernes Romeo und Julia im New York der 50er Jahre. Sein Ballett „Facsimile“ ist deutlich weniger bekannt. Dabei hat es auch heute noch viel zu sagen.

+++Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.+++


Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.

Es ist kompliziert – diesen Beziehungsstatus gibt es nicht erst seit Facebook und Tinder. Vor siebzig Jahren zerbricht sich der Komponist Leonard Bernstein den Kopf über verzwickte Beziehungen. Bekannt ist Bernstein in seinem 100. Geburtsjahr vor allem für die West Side Story, eine Art modernes Romeo und Julia im New York der 50er Jahre. Drei Jahre bevor er allerdings die West Side Story komponiert, schreibt Bernstein an „Facsimile“. Ein Stück, das heute viel weniger bekannt ist, das uns heute aber noch genau so viel zu sagen hat wie damals im Jahr 1946, findet Ann-Katrin Zimmermann, Dramaturgin am Gewandhaus Leipzig.

Es ist die Einsamkeit in einer Gesellschaft, die ständig irgendwelche Beziehung hervorbringt. Man ist ständig in kommunikativen und gesellschaftlichen Situationen, aber doch auf gewisse Weise sehr einsam. Ann-Katrin Zimmermann, Dramaturgin am Gewandhaus Leipzig

Bernstein im Beziehungschaos

„Facsimile“ ist die Geschichte einer Frau und zwei Männer – eine Dreiecksbeziehung. Leonard Bernstein setzt sich mit diesem Gefühlschaos musikalisch auseinander und ist dabei nicht allein. Stattdessen arbeitet er zusammen mit dem New Yorker Choreographen Jerome Robbins, mit dem er bereits ein Ballett geschrieben hatte. Generell ist Leonard Bernsteins Musik berühmt dafür, dass sie dramatisch und theatral ist – und damit prädestiniert dafür, vertanzt zu werden.

Bernsteins Musik hat diese Rhythmen, bei denen automatisch jeder, egal ob er Tänzer ist oder nicht, sich mitbewegen möchte. Das ist Musik, die zum Bewegen anstiftet und inspiriert.Ann-Katrin Zimmermann 

Das Stück beginnt mit dem Solo der Frau. Doch die Tänzerin bleibt nicht allein auf der Bühne. Mit dem ersten Mann, mit dem ersten Flirt, kommt die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Einsamkeit. Die beiden nähern sich an, heftige Leidenschaft, die aber schnell wieder vorbei ist. Dabei sind sie sich fremd, gelangweilt voneinander. Ein zweiter Mann tritt auf, es gibt Eifersucht, Beschimpfungen und Vorwürfe. Am Ende ist sich niemand von diesen dreien wirklich näher gekommen. Die Frau bleibt alleine zurück.

„Mach’s anders!“

Warum Bernstein dem Beziehungsdrama den Namen „Facsimile“ gab, ist nicht geklärt. Der Begriff selbst bedeutet „eine originalgetreue Abbildung von etwas“ oder „zum Verwechseln ähnlich.“ Leonard Bernstein hat selber nie ganz aufgelöst, wie er den Titel in diesem Zusammenhang mit der komplizierten Dreierbeziehung meint. Ann-Katrin Zimmermann interpretiert es so:

Diese Probleme, diese Kreishandlung, die da rauskommt, wo sie angefangen hat – das ist leider etwas, was auf gewisse Weise alle machen. Die Botschaft wäre natürlich: Macht es grade nicht so, wie es alle anderen vorher auch schon gemacht haben und wie es schiefgehen wird. Eher ein fac aliter, mach’s anders! – Ann-Katrin Zimmermann

Redaktion: Eva Morlang

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