Saitenwechsel | Passion mit Pfeifsprache

„Klänge und Sprache fließen ineinander“

Die Wochen vor Ostern sind in der Klassikwelt die Zeit der Passionsaufführungen. Die großen Passionen von J. S. Bach können viele Chöre im Schlaf. Der Gewandhauschor aber probt gerade für eine ganz andere Passion: der Chor muss mehr pfeifen und sprechen als singen.

Rauten und Kreuze stehen da, wo der Chor sonst Noten gewöhnt ist. Der Text wird nicht gesungen sondern gesprochen, geflüstert, teilweise sollen die Sänger beim sprechen einatmen. Das fühlt sich ungewohnt an und klingt auch ziemlich ungewohnt. Da fällt es manchmal schon schwer, ernst zu bleiben.

Uraufführung einer neuen Passion

Es ist in der Tat eine Challenge, auf die sich der Gewandhauschor und sein Leiter Gregor Meyer eingelassen haben. Sie proben für die Uraufführung der Passion „Deine Nacht“. Passionen, also Vertonungen der biblischen Geschichte von Jesu Leidensweg, kennt der Chor haufenweise und kann sie teilweise nachts im Schlaf singen. Aber diese hier ist anders.

Es ist eine ganz eigene Version des jungen Leipziger Komponisten Daniel Beilschmidt. Auch er nimmt als Grundlage die biblischen Passionstexte sowie poetische kontemplative Einwürfe, wie traditionelle Vertonungen auch. Allerdings verzichtet er auch den gesungenen Evangelistentext, quasi den Erzähler, und ersetzt ihn durch einen Solisten, der in Silbo Gomero pfeift.

Sprache und Natur

Er ist der uralten Pfeifsprache ganz zufällig im Internet begegnet, war aber sofort begeistert.

Man pfeift Silben, aber trotzdem klingt diese Sprache wie Natur, wie Klänge. Klänge und Sprache fließen hier in einander. Ich dachte, daraus muss man Musik machen.

Daniel Beilschmidt, Organist und Komponist

Für den gepfiffenen Part reist einer der größten Silbo-Lehrer aus La Gomera an.

Ungewohnte Laute

Diese Pfeifsprache muss der Chor nicht lernen, aber doch muss er teilweise auch pfeifen und andere ächzende oder knarzende Klänge von sich geben. Daniel Beilschmidt will die Passionsgeschichte ins Hören bringen in dem er mit Klängen die Geschichte illustriert.

Das klingt natürlich nicht immer schön, es geht schließlich um eine Kreuzigung. Um das umzusetzen, muss Gregor Meyer den Chor aus seiner Komfortzone locken:

Daniels lotet immer wieder Grenzen aus und lässt Klänge entstehen, die wir so noch nicht produziert haben und so noch nicht kennen. Das ist natürlich immer ein Suchen. Das kann auch mit Scheitern verbunden sein.

Gregor Meyer, Leiter des Gewandhauschores

Das heißt für den Chor auch: die Proben sind viel anstrengender als sonst. Es gibt quasi nie Melodien, die man einfach mal so „schön“ durch singen kann. In den Noten stehen immer mal wieder auch Anweisungen, die sich physikalisch kaum umsetzen lassen.

Wie der Chor mit diesen Herausforderungen umgeht, und was er über das experimentelle Stück denkt, findet Eva Morlang in dieser Folge des Saitenwechsels heraus.