Tracks & Traces | ÄTNA – Ruining My Brain

Anarchie im Gehirn

Nach außen die Ruhe selbst, innerlich das komplette Chaos – das Dresdner Duo ÄTNA singt in „Ruining My Brain“ über Panikattacken und findet dafür einen Sound zwischen elektronischer Avantgarde und technoidem Wahn. In Tracks & Traces nehmen sie den Song Spur für Spur auseinander.

Zwischen Eurodance und Jazz

Ausgerechnet auf einer 90er-Euro-Trash-Party lernen sich Inéz Schäfer und Demian Kappenstein 2012 kennen. Vier Jahre später spielen sie gemeinsam in einer Band, für deren Soundkosmos dieser Fun Fact durchaus eine Rolle spielen wird. Aber der Reihe nach.

Im Umfeld der Musikhochschule Dresden gründen Inéz und Demian 2016 das Duo ÄTNA. Aus ihrer Jazz-Vergangenheit nehmen sie die Lust am Improvisieren mit und bewegen sich fortan in Richtung Electropop.

Moses Schneider, der verrückte Professor

Ihr Debütalbum „Made By Desire“ nehmen sie in den legendären Hansastudios in Berlin auf, wo schon David Bowie ein- und ausgegangen ist. Moses Schneider produziert das Album. Der arbeitet sonst u.a. mit Tocotronic und ist bekannt dafür, Bands live im Raum und in ihrem besten Moment festzuhalten.

Moses ist wie ein verrückter Professor, der sehr viel mit Delays und analogen Effekten hantiert. Deswegen hat er immer ewig den Sound eingestellt. Der Sound muss bei dieser Art von Arbeit vorher stehen und dann wird aufgenommen. Danach kann man auch nicht mehr viel dran machen. Deswegen war das so besonders, weil er auch beim Spielen zusammen mit uns improvisiert. – Demian

Wenn erstmal alles eingestellt ist, kann es bei Moses Schneider ganz schnell gehen. Den Song „Ruining My Brain“ spielen ÄTNA in einem Take ein, dem ersten. Mehr Moment-Magie geht nicht.

Mensch und Maschine auf einer Ebene

Weil ÄTNA zu zweit auftreten – Inéz an Synthies und Gesang, Demian an Schlagzeug und Sampler – ist es umso wichtiger, dass Effekte und Soundverfremdungen wie ein drittes Bandmitglied funktionieren. Entsprechend experimentierfreudig fällt die Instrumentierung aus: Ein Samplepad triggert ein Saxofon-Schnipsel, die Bass Drum einen synthetischen Kick. Auf der Snare liegt ein kleines Becken, das einen elektronischen Sound erzeugt.

Ich finde diese Gratwanderung spannend: Ab wann klingt ein elektronischer Sound organisch und was braucht der eigentlich, um als vermenschlicht durchzugehen. Und auf der anderen Seite: Wie kriegt man Klänge aus dem Raum in eine Maschine, so dass man das Gefühl hat, die unterhalten sich auf einer Ebene. – Demian

Gewitter im Kopf

In den ersten Proberaum-Mitschnitten ist der eindringliche Gesang von Inéz noch eine Art Platzhalter. Nur eine Zeile schwirrt von Anfang an immer wieder durch den Raum: „Ruining My Brain“. Und aus der erschließt sich später das Thema des Songs.

Es geht um Panikattacken. Ein Zustand, der komplett realitätsfern ist. Der Moment, in dem sich abzeichnet: Scheiße, es ist jetzt bald wieder soweit und man kann jetzt eigentlich nichts mehr dagegen tun, außer: Ich warte jetzt dieses krasse Gewitter ab. Ich weiß nicht, wie lang es dauert, ich weiß nur, dass es vorbei geht. – Inéz

In dieser Folge von Tracks & Traces nehmen Inéz und Demian von ÄTNA den Song „Ruining My Brain“ Spur für Spur auseinander. Von der ersten Idee auf Basis eines Schrottwichtelgeschenks, über leiernde Kassetten mit alten Schlagzeugübungen, bis hin zum technoiden Finale und dessen 90er-Jahre-Einflüssen.

P.S. Tracks & Traces ist für den Grimme Online Award 2020 nominiert! Die Preisverleihung findet am 25. Juni statt. Den Livestream gibt es hier, zum Voting für den Publikumspreis geht es hier.

Redaktion