Tracks & Traces | Sophia Kennedy – I Can See You

Ambivalenter Discopop

In „I Can See You“ singt Sophia Kennedy von Widersprüchen. Von der Euphorie, die aus vermeintlichen Niederlagen entstehen kann. Ein Discopop-Hybrid mit bretternden Orgeln à la Kanye West und einer Stimme, die der Folk-Legende Karen Dalton Tribut zollt. In Tracks & Traces nimmt Sophia Kennedy den Song auseinander.

Musikalische Gestaltwandlerin

Sophia Kennedy stammt aus Baltimore in den USA und lebt in Deutschland, seit sie zehn ist. Für ein Filmstudium kommt sie nach Hamburg, für die Musik bleibt sie. Sie arbeitet als Türsteherin, als Theatermusikerin und bringt 2013 zusammen mit Carsten „Erobique“ Meyer ihre erste Single raus.

Mit Mense Reents von den Goldenen Zitronen produziert Sophia Kennedy 2017 ihr erstes Album. Das erscheint bei Pampa Records, dem Label von DJ Koze. Fachpresse und Feuilleton jubeln. Der Guardian bezeichnet sie als „Sonic Shapeshifter“, als musikalische Gestaltwandlerin.

Giorgio Moroder trifft Karen Dalton

Der hybride Sound gelingt ihr auch auf dem neuen Album „Monsters“. Bestes Beispiel: Der Song „I Can See You“. Das Grundgerüst bildet ein discohafter Beat mit Giorgio-Moroder-Bassline, auf der Sophia Kennedys Stimme ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirkt. Der Gesang sollte intim klingen, nach dem Vorbild der Folksängerin Karen Dalton aus den 70er Jahren.

Sie hat so ein Geheimnis, einen Schmerz und eine Zeitlosigkeit in der Stimme. Sie kann sehnsuchts- und hoffnungsvoll singen und hat trotzdem diese Abgründigkeit in ihrer Stimme. Das so zu verknüpfen, das berührt mich sehr.

Modern und alt

Produziert hat Sophia Kennedy den Song wieder mit Mense Reents in dessen Hamburger Studio. Der gemeinsame Nenner für „I Can See You“: eine Mischung aus modern und alt, aus analogen Sounds und Plugins.

Ich benutze gern die Farfisa-Orgel von Arturia und entscheide mich oft für eine, die so ein bisschen zerrig und fast gospelhaft ist. Kanye West hat ja auch oft so bretternde Orgeln, die sehr emotional, aber auch sehr hart sein können.

Die Schönheit des Scheiterns

Im Refrain bricht Sophia Kennedy mit dem zurückhaltenden Habitus der Strophen und strapaziert ihre Stimmbänder, so dass der Song nochmal eine ganz andere Dynamik bekommt. Das passt auch zur inhaltlichen Ebene.

Es ist der Versuch, Widersprüche festzuhalten. Wenn man scheitert, dann ist das ja oft eine negative Erfahrung und gleichzeitig hat man eine Erkenntnis, die einen euphorisiert und die eine neue Richtung aufweisen kann, was aber auch bedeuten kann, dass man von anderen Dingen loslassen muss.

In dieser Folge von Tracks & Traces hört ihr, wie Sophia Kennedy und Mense Reents „I Can See You“ geschrieben und produziert haben. Ihr hört die ersten Ideen und Demos und wie der Song langsam Form annimmt. Ihr hört, welche Rolle dabei die Musik von Kanye West und Karen Dalton spielt. Und warum Sophia Kennedy mit „I Can See You“ anfangs ein bisschen fremdelt und den Song dann schließlich doch ins Herz schließt.

Redaktion