Hartz IV: 1,9 Milliarden Euro Sanktionen für Arbeitslose

Wird die Würde weggekürzt?

Termin vergessen? Unattraktives Jobangebot abgeleht? Das bedeutet empfindliche Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Erstmals ist nun bekannt, wie groß die Dimension ist: Fast zwei Milliarden Euro verhängten die Jobcenter seit 2007 an Sanktionen. Das regt eine alte Diskussion neu an: Was gibt’s an einem „Existenzminimum“ noch zu kürzen?

Auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Sabine Zimmermann musste die Bundesregierung Zahlen vorlegen: Demnach haben die Jobcenter in den letzten zehn Jahren Hartz-IV-Sanktionen in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro verhängt. Als Begründung wird meistens auf mangelnde Kooperationsbereitschaft verwiesen.

So senkt das Jobcenter den Regelsatz um 30 Prozent beispielsweise, wenn der Bezieher ein Jobangebot ablehnt, das formell angemessen ist. Ebenfalls kritisch ist das Verschweigen einer zusätzlichen Einnahmequelle. Versäumt man einen Termin ohne wichtigen Grund, so senkt sich der Regelsatz für drei Monate um zehn Prozent.

Verfassungswidrige Sanktionen?

Die Jobcenter können Sanktionen bei gegebenem Anlass auch wiederholen. Das hat schon zu Kürzungen bis hinab auf 150 Euro geführt. Sanktionen sind dem Sozialgericht Gotha zufolge verfassungswidrig. Denn sie verstoßen gegen das Grundrecht auf ein Existenzminimum – also den Regelsatz – und können die Gesundheit gefährden. Bislang blieb die Praxis den Jobcentern jedoch erhalten.

Das Sozialgesetzbuch II, nach dem die Jobcenter agieren, lässt Sanktionen zu. Die Bundesagentur für Arbeit bezeichnet diese tatsächlich als erzieherische Maßnahmen, nach dem Motto: Wenn du nicht spurst, nehmen wir dir das Geld weg. – Inge Hannemann, ehemalige Jobvermittlerin, die sich heute für die Initiative „Sanktionsfrei“ engagiert

Mach doch mal was

2013 sprachen sich 90.000 Bürger mit einer Petition gegen die Sanktionen aus. Daraufhin argumentierte die Bundesregierung mit einem Grundprinzip des Sozialrechts. Nach diesem muss ein Leistungsempfänger, dessen Einkommen von Steuerzahlern getragen wird, mithelfen, seine Situation zu verbessern.

Sanktionen sollen die Empfänger motivieren, ihren Unterhalt wieder selbst zu verdienen und sich dementsprechend auch zu engagieren. Doch nicht immer haben die Kürzungen diesen Effekt. Sie können auch dazu führen, dass sich die Betroffenen resigniert zurückziehen und gar nicht mehr kooperieren.

Dazu kommt eine gewisse Unklarheit über das Ausmaß der angewandten Sanktionen, da die zuständigen Sachbearbeiter eine hohe Entscheidungskraft haben und relativ frei entscheiden können, wann es zu Kürzungen kommt.

Persönliche Einstellungen und Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern können ebenfalls die Sanktionswahrscheinlichkeit beeinflussen. – Rheinland-Pfälzisches Arbeitsministerium auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Daniel Köbler

Welche Folgen Sanktionen für die Empfänger haben und welche Alternativen es zu den Kürzungen gäbe, hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit Inge Hannemann besprochen. Sie hat früher selbst im Jobcenter gearbeitet und engagiert sich mittlerweile bei der Initiative „Sanktionsfrei“.

Es ist so, wie schon der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic sagte: Logisch gesehen ist es gar nicht möglich, ein Minimum nochmal um ein Minimum zu kürzen.Inge Hannemann 

Redaktion: Dorothea Günther

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