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Ist der Traum aus?

Die autonome Region Rojava in Nordsyrien ist politisches Experiment und Projektionsfläche für viele Linke. Was hat die türkische Invasion übrig gelassen vom Traum der Selbstverwaltung?

Rojava als Traum und Experiment

Es galt als kleine Utopie in der Hölle des syrischen Bürgerkriegs: In der nordsyrischen Region Rojava sollte eine selbstverwaltete, emanzipatorische und demokratische Gesellschaft entstehen. Seit der türkischen Invasion im Oktober scheint diese Hoffnung erstickt. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sind die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer schlichtweg Terroristen. Eine kurdische Autonomieregion in Nähe der eigenen Grenze wird nicht akzeptiert.

Seit dem 17. Oktober herrscht zwar offiziell Waffenruhe; zahlreiche Berichte bestätigen aber, dass weiterhin gekämpft wird. Außerdem ist noch offen, was aus den Errungenschaften Rojavas wird, von der demokratischen Selbstverwaltung bis hin zu eigenen Universitäten. Kurzum: Wie geht es weiter mit Rojava?

Ich würde nicht sagen, dass der Traum geplatzt ist, aber es ist zur Zeit schwierig.

Philipp Breu, Fotojournalist

Foto: Benjamin Hiller

Selbstverwaltung ohne Zentralstaat

Am 17. März 2016 gründen Vertreterinnen und Vertreter sowohl der Kurden als auch anderer Bevölkerungsgruppen in Nordsyrien die autonome Föderation Rojava. Das Regime des syrischen Machthabers Assad hat im Norden des Landes sowieso seit einigen Jahren keinen militärischen Einfluss mehr.

Einzigartig an Rojava ist sein politisches System. Die Menschen verwalten sich selbst auf kommunaler Ebene. So etwas wie einen Zentralstaat gibt es nicht. Männer, Frauen und die verschiedenen ethnischen Gruppen können sich gleichberechtigt politisch beteiligen. Das machte Rojava hierzulande besonders für die politische Linke zu einer enormen Projektionsfläche – was von Teilen der kurdischen Community als dankenswerte Solidarität aufgefasst, von anderen aber kritisch gesehen wurde.

Wenn man so ein bisschen hinter die Kulisse guckt, ist natürlich eine große Verunsicherung da und auch eine gewisse Angst bei vielen Leuten.

Michael Wilk, Arzt

Internationale Achtung erfahren die kurdischen YPG-Kämpfer insbesondere für ihre Verdienste im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Daher haben viele Beobachter mit Entrüstung reagiert, als Trump überraschend bekannt gegeben hat, die US-Streitkräfte aus Syrien abzuziehen. Denn damit hat er den Weg für die Militäroffensive der Türkei überhaupt erst frei gemacht. Von den westlichen Verbündeten verlassen, bemühen sich die kurdischen Kräfte nun wieder um eine Zusammenarbeit mit Assad. Denn der hat zumindest, genauso wie die Kurden, kein Interesse an einer türkischen Besatzung Nordsyriens.

Wie die aktuelle Lage in Rojava ist und wie es nach Einmarsch der Türkei dort weitergeht, darüber spricht detektor.fm-Moderatorin Amelie Berboth mit dem Kriegsberichterstatter Phillip Breu und dem Arzt Michael Wilk.