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Forschungsquartett | Nie wieder Abfall durch Urban Mining?

Besser noch als Ressourcen schonend zu leben, ist es, gar keinen Abfall zu produzieren. Urban Mining soll das möglich machen.

Michael Braungart - hat 2002 mit einem Kollegen das Cradle-to-Cradle Prinzip entwickelt. Foto: braungart.com

hat 2002 mit einem Kollegen das Cradle-to-Cradle Prinzip entwickelt. Foto: braungart.com
Michael Braungart

Besser als wenig Schaden ist kein Schaden

Wir recyclen unseren Müll, sparen Wasser, lassen möglichst oft das Auto stehen. Seit Jahren sprechen alle vom nachhaltigen Leben, bei dem wir versuchen, unserer Umwelt möglichst wenig zu schaden. Aber selbst wenn wir das schaffen: wenn 1 Millionen Menschen einen kleinen Schaden anrichten, ist es am Ende trotzdem zu viel.

Besser wäre es doch, Produkte zu erschaffen, die keinen Schaden bringen, sondern nützlich sind und Geräte herzustellen, die, wenn sie kaputt gehen, keinen Abfall produzieren. Diese Idee steht hinter dem Begriff Urban Mining.

Matthias Finkbeiner - optimiert im Bereich technischem Umweltschutz den Umgang mit Müll. Foto: SEE.

optimiert im Bereich technischem Umweltschutz den Umgang mit Müll. Foto: SEE.
Matthias Finkbeiner

Das Ziel: ein Rohstoffkreislauf

Unsere Städte sind riesige Rohstoffquellen. Wenn wir alte Fernseher oder Kühlschränke aus unseren Kellern holen würden und die darin verbauten, zum Teil wetvollen, Materialen herauslösen würden, könnten daraus wieder neue Gegenstände entstehen. Urban Mining möchte, ähnlich wie wir es beim  Recycling schon viele Jahre machen, einen Rohstoffkreislauf erreichen. Dadurch wäre man weniger Abhängig von Rohstoffpreisen und Import und würde vor allem die Umwelt schonen.

Wie genau das funktionieren könnte, erklärt Juliane Neubauer.

Forschungsquartett | Urban Mining 05:46

Man sagt: Schütz die Umwelt, fahr weniger Auto! Schütz die Umwelt, mach weniger Müll! Schütz die Umwelt, reduziere deinen Wasserverbrauch! Das ist aber kein Schutz, das ist nur weniger Zerstörung. Bei Cradle-to-Cradle geht es nicht darum, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren […], sondern einen großen Fußabdruck zu haben, der nützlich ist. (Michael Braungart)

 


 

Der Beitrag zum Mitlesen

Können wir Abfall als Rohstoffquelle nutzen? Und wenn ja, wie? Diese Fragen stellen sich Wissenschaftler weltweit, denn schon lange ist klar: uns gehen die natürlichen Ressourcen aus. Unser Umgang mit Materialien ist ineffizient und umweltschädlich.

Die Deutschen sind im Recyclen Spitzenreiter. Seit Jahren sammeln wir Papier, bringen unser Leergut zum Container und Batterien werfen wir in den eigens dafür vorgesehenen Behälter im Drogeriemarkt. Doch es muss noch einen Schritt weiter gedacht werden, wenn Mensch und Natur weiterhin gemeinsam bestehen wollen. Der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart hat deshalb mit einem Kollegen das so genannte Cradle-to-Cradle Prinzip – also von der Wiege bis zur Wiege – entwickelt:

Alle Dinge, die verschleißen, die kaputt gehen durch ihre Anwendung, sich chemisch, biologisch, physikalisch ändern, also so wie Schuhsolen, wie Bremsbelege, wie Waschmittel, müssen so gemacht werden, dass sie in biologische Systeme gehen können. Und alle Dinge, die nur genutzt werden, so wie Waschmaschinen, wie Fernseher, die werden ja nicht verschlissen, die werden nur genutzt. Damit diese wieder in technische Systeme gehen können, dafür muss man sie aber völlig neu gestalten von Anfang an. – Michael Braungart

Ressourcen sollen also so verwendet werden, dass sie nie zu Abfall werden, sondern immer weiter existieren können. Zum Beispiel kann man ein Gerät so gestalten, dass man es bei einem Defekt nicht komplett entsorgen muss, sondern das kaputte Teil einfach ersetzt. Siemens hat beispielsweise einen Staubsauger entwickelt, dessen Bestandteile weder verklebt noch verschraubt sind. Er ist zusammengesteckt. Die Vorteile: Die Reparatur ist unkompliziert. Will man den Staubsauger entsorgen, kann man die einzelnen Bestandteile problemlos recyclen.

Geräte, die nicht mehr funktionieren oder einfach nicht mehr zeitgemäß sind, werden nicht selten in die dunklen Ecken unserer Keller oder Ramschschubladen verbannt. Die Idee des Urban Mining ist es, diese Gegenstände wieder ans Licht zu holen und die wertvollen, darin enthaltenen Bestandteile, wie zum Beispiel seltene Metalle, wieder zu verwenden. Matthias Finkbeiner, vom Lehrstuhl Sustainable Engineering an der TU Berlin, beschäftigt sich mit Endsorgungstechniken und sieht hier Potenzial.

Ein berühmtes Beispiel sind diese Handys und viele dieser kleinen Elektronikprodukte, wo eben heute noch eine sehr unterentwickelte Kreislaufführung besteht, dadurch weil es sich großräumig nicht lohnt, diese Edelmetalle und Werkstoffe zurück zu holen. Und diese Handys verschwinden dann zuhause in der Schublade Jahre lang, oder eben auch im Restmüll und können dann gar nicht einem vernünftigem Kreislauf zugeführt werden. – Matthias Finkbeiner

Man könnte die Einzelteile in einem Gerät zum Beispiel mit einem speziellen Klebstoff verbinden, der sich bei einer besonders hohen Temperatur auflöst. Schon kann man die Bestandteile weiter verwenden. Es ist notwendig, neue Lösungswege zu finden, sagt Chemiker Braungart, es reicht nicht, nachhaltig zu leben, wenn wir unsere Natur erhalten wollen.

Bei uns denkt man traditionell an Umweltschutz, wenn man weniger zerstört. Man sagt: Schütze die Umwelt – fahr weniger Auto! Schütze die Umwelt, mach weniger Müll! Schütz die Umwelt, reduziere dein Wasserverbrauch! Das ist aber kein Schutz, das ist nur weniger Zerstörung. Bei Cradle-to-Cradle geht es darum, nicht den ökologischen Fußabdruck zu minimieren und am besten zu sagen, man ist gar nicht da, sondern einen großen Fußabdruck zu haben, der nützlich ist. So wie ein Kirschbaum im Frühling. Spart nicht, vermeidet nicht, reduziert nicht, minimiert nicht, aber alles ist nützlich. – Michael Braungart

Braungart versucht, umweltschädigende Materialien mit biologisch abbaubaren zu ersetzen, um nicht nur die Umwelt, sondern auch den Menschen zu schonen. Viele Sitzmöbel zum Beispiel sind aus Textilien und Materialien, die uns schädigen können. Künstliche Partikel, die sich bei ihrer Nutzung abreiben, setzen sich auch im menschlichen Organismus fest und können dort Schaden verursachen.

… also suche ich mit meinen vielen Kollegen und Kolleginnen die Chemikalien heraus, die für solche Sitzmöbel verwendet werden können. Und dann kann man die Zuschnitte als Torfersatz in Gärtnereien geben. Dadurch wird das Produkt etwa 20 Prozent billiger. Es konkurriert nicht mehr mit irgendwelchen Dingen aus Bangladesh. Und es setzt sich im Transportsektor in den Bussen und in den Flugzeugen immer mehr durch, weil die Luftqualität in solchen Transportmitteln wirklich ein großes Problem darstellt. – Michael Braungart

Wenn es nach Braungart ginge, könnten wir mit unseren Ressourcen ruhig großzügig umgehen, wenn wir sie so einsetzen, dass sie einfach recyclebar sind. Unsere Erfahrung mit Papier hat aber gezeigt, dass auch der Kreislauf der Wiederverwertung problematisch sein kann. Nicht jeder Papierschnipsel wird eingesammelt und manches Papier ist so stark verschmutzt, dass die Reinigung einen enormen Aufwand bedeutet. Abfallexperte Finkbeiner sieht das Cradle-to-Cradle Prinzip deshalb kritisch.

Wie ich schon erwähnt hab, ist eben eine Kreislaufführung nicht immer die nachhaltigste oder umweltverträglichste Lösung. Und das auch damit zu verknüpfen, dass wir auf den Ressourceneinsatz gar nicht achten müssen, halte ich auch nicht für sonderlich zielführend, weil auch jede Kreislaufführung mit zusätzlichem ökologischem Aufwand verknüpft ist. – Matthias Finkbeiner

Auch wenn das Prinzip nicht fehlerfrei ist, ist es doch ein Schritt in die richtige Richtung. Naturwissenschaftler und Ingenieure weltweit lassen sich von Urban Mining und Cradle-to-Cradle inspirieren und basteln an neuen Produktlösungen.

Ich habe das nicht erwartet, dass sich Cradle-to-Cradle so schnell umsetzt. Inzwischen gibt es weit über 1.200 Produkte auf dem Markt, die schon danach hergestellt sind. […] Wir sehen jetzt im Moment eine komplette Änderung. Weltweit kommen Ingenieure und Wissenschaftler zu uns aus ganz vielen Ländern und sagen: „Wir möchten mitmachen!“. Dann ist der Mensch nicht mehr eine Belastung, also wo kannst du möglichst wenig schädlich sein, sondern er wird nützlich, so wie alle anderen Lebewesen auch nützlich sind. – Michael Braungart

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