Ach, Mensch! | Luisa Schneider über Wohnungslosigkeit

Wer lebt auf der Straße?

Am Anfang habe sie selbst gedacht, niemand müsse auf der Straße leben. Ihre Forschung hat Luisa Schneider gezeigt, dass die Realität anders aussieht – und dass Wohnungslosigkeit alle Gesellschaftsschichten betrifft. Die Anthropologin vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle erzählt, wieso.

Wohnungslosigkeit erforschen

Mit ihrem Forschungsfeld Wohnungslosigkeit ist sie bereits als Kind in Berührung gekommen, als sie vom Dorf in die Großstadt fuhr: Im U-Bahnhof hat Luisa Schneider eine alte Frau gesehen, die gebettelt hat. Wie so etwas sein kann, treibt sie noch heute als Anthropologin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle um.

Die Wohnung ist tief in der Gesellschaft verankert: Sie bedeutet, einen Rückzugsort zu haben, gibt aber auch eine Adresse und damit Rechte und Schutzversprechen.

Historisch haben wir eine klare Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum geschaffen: Intimität, Privatsphäre, Schutz sind alle an die Wohnung geknüpft.

Luisa Schneider

Foto: privat

Intimität ist im öffentlichen Raum nicht gerne gesehen. Schlafen oder sich waschen? Bitte zuhause. Darum versuchen Wohnungslose oft, sich mit ihren Mitteln Privatsphäre in öffentlichen Räumen zu schaffen.

Schneiders Herangehensweise

Die Zahl der Wohnungslosen hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Schneider geht davon aus, dass diese wegen der Pandemie und Jobverlusten noch steigt. Ihre Forschung zeigt: Meist bringt soziales Leid, wie die Trennung der Eltern oder der Verlust von geliebten Menschen, jemanden auf die Straße.

Daher betrifft Wohnungslosigkeit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten: Jugendliche, die fürs Abi lernen, Arbeitnehmer, Professoren und Rentner.

Luisa Schneider

Um Kontakt aufzunehmen – gerade zu solchen Wohnungslosen, die versteckt leben und die Hilfesysteme nicht nutzen –, ist sie mehr als ein halbes Jahr jeden Morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß in der Stadt unterwegs gewesen: Menschen kennenlernen und ihre Geschichten anhören.

Lara-Lena Gödde von detektor.fm spricht mit Luisa Schneider bei „Ach, Mensch!“ über Privatsphäre, wie sie Wohnungslosigkeit erforscht und was die Gemeinschaft der Straße bedeutet.