Als die britische Krankenschwester Florence Nightingale am 4. November 1854 im Lazarett in Scutari ankommt, sterben im Schnitt vier von zehn Patienten. Mithilfe von statistischen Analysen und deren visueller Aufbereitung kann Nightingale die Sterblichkeitsrate unter den verletzten und kranken Soldaten drastisch senken.
Im Oktober 1853 bricht auf der Krim-Halbinsel Krieg aus. In den sogenannten Krimkrieg bekämpfen sich das Osmanische Reich und das Russische Kaiserreich — im März 1854 treten Großbritannien und Frankreich dem Krimkrieg auf osmanischer Seite bei. Im September kommen die britischen und französischen Truppen auf der Krim an. Sie beginnen, Sewastopol zu belagern, denn die Stadt ist Russlands wichtigster Militärstützpunkt. Täglich werden Hunderte Soldaten im Krieg verwundet. Zur Behandlung kommen sie ins britische Militärkrankenhaus in Scutari — rund 1.000 Kilometer Seeweg entfernt am asiatischen Ufer des Bosporus. Doch die Zustände im Lazarett sind katastrophal. Erst, als die britische Krankenschwester Florence Nightingale mit ihren 38 freiwilligen Krankenpflegerinnen ihren Dienst antritt, verbessert sich die Lage für die Verletzten und Kranken im Lazarett.
Statt vier von zehn Patienten sterben nach einiger Zeit nur noch etwa zwei bis fünf von 100 Patienten. Aber das Pflegeteam leistet noch mehr: Nightingale und die Krankenschwestern kümmern sich um die Patienten, erkundigen sich nach ihnen, haben ein offenes Ohr.
Demian Nahuel Goos, Mathematiker
Florence Nightingale hatte immer schon zwei Leidenschaften: die Krankenpflege und die Mathematik. Während ihres Einsatzes im Lazarett Scutari verbindet sie beides miteinander: Sie führt umfassende Hygienevorschriften im Lazarett ein und führt Buch über die Anzahl der Kranken, Verletzten, Toten sowie über die Todesursachen. So sammelt sie viele Daten, die sie mithilfe eines besonderen Tortendiagramms visuell aufbereitet.
In jedem Tortenstück dokumentiert sie die Anzahl der Toten pro Monat: je größer die Fläche eines Abschnitts, desto höher die Anzahl Verstorbener. Dann färbt sie die Abschnitte verschiedenfarbig ein, um zwischen den Todesursachen zu unterscheiden.
Manon Bischoff, Mathe-Redakteurin bei Spektrum der Wissenschaft
Nach anderthalb Jahren Krankenpflege im Lazarett kehrt Florence Nightingale nach Großbritannien zurück. Sie schreibt einen mehr als 1.000 Seiten langen Abschlussbericht über ihren Einsatz im Krimkrieg, was zu grundlegenden Reformen im Militärsanitätswesen führt — und schlussendlich zu einer Reform der allgemeinen Krankenpflege. Nightingale wird 90 Jahre alt. Bis heute ist sie als „Lady with the lamp“ aus ihrer Zeit im Lazarett bekannt und gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege. Ihr zu Ehren wurde im Jahr 1974 der Internationale Tag der Pflege ins Leben gerufen — jedes Jahr am 12. Mai erinnert der Aktionstag an Nightingales Geburtstag.
Wie genau hat Nightingale es geschafft, mit statistischen Analysen die Sterblichkeitsrate im Lazarett zu senken? Warum hatten so viele Menschen im 19. Jahrhundert Angst vor Statistik? Und was hat Nightingale alles auf sich genommen, um überhaupt in der Krankenpflege arbeiten zu können? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Karolin Breitschädel, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast hat Demian Nahuel Goos am MIP.labor entwickelt, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.