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Wo beginnt Gewalt während der Geburt?

Fast die Hälfte aller Frauen berichten von übergriffigen Erlebnissen während der Geburt. Ein unsensibler Spruch oder ein medizinischer Eingriff, der nicht abgesprochen war, kann in so einer verletzlichen Situation sogar traumatisierend sein. Auch wenn diese Form von Gewalt gegen Frauen kaum beabsichtigt ist: Warum sind Geburten häufig nicht gewaltfrei?

„Stellen Sie sich nicht so an“

Sprüche wie diese sind nicht nur demütigend, sondern auch ein Grund dafür, warum bisher so wenig Frauen über ihre schlechten Erfahrungen mit Geburtshilfe gesprochen haben. Eine Geburt ist schmerzhaft, da muss jede Gebärende durch, so das gesellschaftliche Bild.

Eine Frau kann sich über ihr Kind freuen und trotzdem sagen: die Art und Weise, wie ihr Kind auf die Welt gebracht wurde, das war nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte, da sind Grenzen verletzt worden, da ist Gewalt ausgeübt worden und da habe ich jedes Recht, das anzuklagen.

Claudia Watzel, Dipl.-Psychologin

Gewalt an Gebärenden kann verschiedene Formen annehmen: verbale Demütigungen, psychologischer Druck, Untersuchungen ohne Einverständnis können genauso vorkommen wie ein Kaiserschnitt ohne ausreichende Anästhesie. Solche Erfahrungen sind keine Einzelfälle. Etwa jede dritte Frau erlebt körperliche oder psychische Gewalt während der Geburt.

Wir brauchen mehr das Vertrauen, dass die Frauen alles mitbringen, um ihr Kind auf die Welt zu bekommen. Wir müssen also schauen, wie es der Frau geht und was sie braucht und das müssen wir sie auch fragen.

Katharina Desery, Mother Hood e.V.

Mother Hood e.V.

Ist Gewalt in der Geburtshilfe vermeidbar?

Jedes Jahr am 25. November ist der Roses Revolution Day. An diesem Tag legen Frauen weltweit Rosen vor Kliniken, Kreißsälen und Geburtshäusern, in denen sie Gewalt während der Geburt erfahren haben – eine Kritik an Hebammen, Ärztinnen und Ärzten und am Pflegepersonal. Wie kommt es aber zu Gewaltanwendungen in der Geburtshilfe? Eine Erklärung ist, dass medizinisches Personal bei Geburten unter Zeitdruck handeln müssen. Straffe Termine, zu wenig Personal und Überforderung lassen oft keine Zeit für ausführliche Absprachen.

Wir müssen die klinischen Strukturen verändern, damit wir diese Fälle aufgreifen und aus ihnen lernen können.

Andrea Ramsell, Hebamme und Beirätin für den Angestelltenbereich im DHV

Hans-Christian Plambeck

Ab wann kann man in der Geburtshilfe von Gewalt reden? Darüber spricht detektor.fm-Moderator Yannic Köhler mit Claudia Watzel. Sie ist Diplom-Psychologin und hat den Verein “Schwere Geburt” gegründet. Der Verein „Mother Hood“ setzt sich für einen Strukturwandel in der Geburtshilfe ein. Die Vorständin und Pressesprecherin Katharina Desery erklärt, was sich verändern muss, damit Frauen keine Gewalt mehr während der Geburt erfahren. Andrea Ramsell vom Deutschen Hebammenverband spricht über ihre Einschätzung, ob sich Gewalt in der Geburtshilfe manchmal einfach nicht vermeiden lässt.