Zurück zum Thema | #MeinNazihintergrund

Aufarbeitung oder „Gedächtnistheater“?

Unter dem Hashtag #MeinNazihintergrund wird auf Twitter die eigene Familiengeschichte aufgearbeitet. Ist das eine gute Idee?

Erbe der NS-Zeit

In einem Instagram-Live-Gespräch haben sich Moshtari Hilal, als Künstlerin, und Sinthujan Varantharaja, aus Sicht der politischen Geografie, dem finanziellen Erbe deutscher Bürgerinnen und Bürger aus der NS-Zeit gewidmet. Zum Beispiel profitieren einige deutsche Unternehmen bis heute von Geld, das sie im Zusammenhang mit den Verbrechen während des Nationalsozialismus verdient haben. Als Gegenstück zu dem Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ sprechen Hilal und Varantharaja von einem „Nazihintergrund“. Auf Twitter setzen sich unter dem Hashtag #MeinNazihintergrund seitdem viele Nutzerinnen und Nutzer mit ihren familiären Hintergründen auseinander.

Dieser Hintergrund ist nur dann interessant, wenn man ihn mit dem echten Willen zur Aufarbeitung, zum Lernen und zur Vermehrung unseres Wissens nutzt.

Aleida Assmann, Kulturwissenschaftlerin

Foto: Valerie Assmann

Kritik an #MeinNazihintergrund

Doch viele kritisieren die Tweets unter dem Hashtag auch. Ein Nutzer findet zum Beispiel, dass von den NSDAP-Mitgliedschaften der Vorfahren berichtet würde, „als ob Juden nicht von Nachbarn, Postboten und Bekannten denunziert worden wären.“ Auch die Wahrnehmung, Hilal und Varantharaja hätten das Thema erstmals angesprochen, stößt auf Kritik. Der Künstler Leon Kahane betont, dass Jüdinnen und Juden dies seit Ende des Krieges thematisieren. Aber dann, so Kahane, „wird gerne relativiert oder geschwiegen“. Außerdem könne die Bezeichnung „Menschen mit Nazihintergrund“ andere ohne diesen Hintergrund davon befreien, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der größte Kritikpunkt ist aber, dass durch diese Form der Erinnerungskultur die Täterinnen und Täter in den Mittelpunkt gestellt werden und der Perspektive der Opfer des Nationalsozialismus kein Raum gegeben wird.

Das Entscheidende am Gedächtnistheater ist, dass es keinen Platz mehr gibt für die Perspektive von Juden und Jüdinnen oder anderen diskriminierten Minderheiten. Die haben ja ganz andere Bedürfnisse als die Wiedergutmachung für die Täter*innengesellschaft.

Max Czollek, Politikwissenschaftler und Lyriker

Foto: Kati Zubek

Sich selbst in Bezug auf die Geschichte zu reflektieren, scheint unumstritten. Wie in Deutschland die Erinnerungskultur auszusehen hat, ist dennoch schon lange ein heikles Thema.

#MeinNazihintergrund – gelungene Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit oder nur ein Weg, um sich selbst zu entlasten? Darüber spricht detektor.fm-Moderator Johannes Schmidt mit Max Czollek. Er ist Autor, Lyriker und Politikwissenschaftler und setzt sich in seiner Arbeit mit der deutschen Erinnerungskultur auseinander. Außerdem erklärt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, die zur Erinnerungs- und Gedächtniskultur forscht, ob eine Twitter-Debatte zu einer gelingenden Erinnerungskultur beitragen kann.