Album der Woche: Wilco – The Whole Love

Entgegen ihren Country-Anleihen haben Wilco mit den erzkonservativen Auswüchsen des Genres nicht viel am Hut. Ihre Alben finden sich dennoch regelmäßig ganz oben in den US-Charts. Also da, wo sonst schon mal die Dixie Chicks thronen. Auch „The Whole Love“ ist eine sichere Bank.

Mit Wilco ist das so: Hat man sich einmal ins Oeuvre der Chicagoer reingehört und sich zumindest ansatzweise mit den letzten sieben Studioalben befasst, ist man geneigt, dieser Band blind zu vertrauen. So, als würde man auf ein Pferd setzen, ohne sich vorher zu vergewissern, ob es für das anstehende Rennen überhaupt in Form ist. Irgendwann kam also die Nachricht: „Wilco veröffentlichen ein neues Album“, und man hat pro forma schon mal Platz gemacht auf dem MP3-Player.

Dabei hatten die Kritiker Wilco nach ihrem letzten Album noch vorgeworfen, sie hätten es sich in ihrer melodiesatten Gefälligkeit etwas zu gemütlich gemacht. Auf The Whole Love, Studioalbum Nummer acht, stellen die Mannen um Sänger Jeff Tweedy gleich im ersten Song klar, dass sie einiges geraderücken wollen. Das siebenminütige Art Of Almost beginnt mit einem verzerrten Basslauf, elektronischen Versatzstücken und Streicher-Sprengseln, bis eine sägende Gitarren-Eskapade das zuvor sorgfältig aufgebaute Tonkonstrukt martialisch niederreißt.

Wer sich von diesen sieben Minuten nicht abschrecken lässt und weiterhört, hat den Test bestanden. Denn das, was danach kommt, ist Wilco in aller Schönheit und Vielschichtigkeit. Ob also die ausufernd experimentelle Rock-Eskapade, der vorantreibende Popsong oder die Slide-Gitarren geschwängerte Countrynummer. The Whole Love ist fast schon ein Querschnitt von allem, was die Band je gemacht hat.

Das Album kommt erstmals auf dem neugegründeten bandeigenen Label raus. Ein logischer Schritt, stehen die altgedienten Musiker um Jeff Tweedy doch nach zwei Top-5 Alben in den US-Charts finanziell auf sicheren Beinen. Und die Nachricht über eine neue Wilco-Platte verbreitet sich auch ohne große Werbeetats.

So wären sicher auch Songs, wie der zwölfminütige Schlusspunkt „One Sunday Morning“ ein sicheres Ausschlusskriterium für große Major-Labels. Dabei ist gerade der ein leuchtender Stern am Wilco-Himmel: Eine sich nicht in den Vordergrund spielende Akustik-Gitarre. Ein bisschen Klavier und Glockenspiel. Darum rankt sich Jeff Tweedys sonorer Bariton. Alles kommt kaum über die eine Melodie hinweg. Und ganz plötzlich sind 12 Minuten vorbei. Wie im Flug.

Zarte Akustik-Balladen, klug und luftig arrangierter Songwriter-Pop – musikalisch verorten sich Wilco fernab vom Hipster-Machwerk der Blogs und finden dort trotzdem statt. Es muss eben nicht immer Chillwave oder Post-Dubstep sein. Country ist nicht immer gleichbedeutend mit erzkonservativ oder altbacken. Und alle können sich drauf einigen. Wie auf das Pferd, das nicht anders kann als gewinnen.

Redaktion