brand eins Podcast | Markus Rieger-Ladich

Streit ist der produktive Abgleich von Interessen

Erziehungswissenschaftler Markus Rieger-Ladich begrüßt die kritische Auseinandersetzung mit veralteten Positionen. Gleichzeitig ist er dafür, Werk und Autor strikt zu trennen. Ein Gespräch über politische Korrektheit und produktiven Streit.

Was darf man noch sagen? Und was angeblich nicht? Viele hitzige Debatten in Kunst und Kultur lassen sich in einem stark vereinfachten Bild so zusammenfassen: Konservative beklagen, dass man nichts mehr sagen dürfe, dann ist die Rede von „Cancel Culture“ und die Wissenschaftsfreiheit scheint gefährdet. Währenddessen kritisieren progressivere Menschen rassistische oder sexistische Sprache.

Markus Rieger-Ladich: „Bedürfnis nach Lichtgestalten“

Markus Rieger-Ladich ist Professor für Erziehungswissenschaft und lehrt an der Universität Tübingen. Er begrüßt die kritische Auseinandersetzung mit veralteten Positionen und aus heutiger Sicht problematischer Sprache. Kritik an rassistischem oder sexistischem Sprachgebrauch sei nicht nur legitim, sondern auch notwendig und erweitere den Diskursraum. Gleichzeitig beobachtet er, dass es an Universitäten statt um Argumente oft um Personen geht. Bei vielen Studierenden gebe es das Bedürfnis nach „Lichtgestalten“ und danach, dass ein Argument „beglaubigt wird von der Biografie“.

Warum ist das Bedürfnis so stark, sich mit Positionen auseinanderzusetzen, die unangreifbar sind, die makellos sind, die durch moralische Reinheit überzeugen?

Erziehungswissenschaftler und Philosoph Markus Rieger-Ladich

Foto: Emanuel Herm

Markus Rieger-Ladich plädiert dafür, Werk und Autor oder Autorin zu trennen und immer auf die Qualität des Arguments zu achten. Gleichzeitig räumt er ein, dass diese Trennung in manchen Fällen schwerfällt.

Ich würde die Person und das Argument, das sie vorträgt, strikt voneinander trennen.

Markus Rieger-Ladich

Der freie Austausch von Argumenten

Rieger-Ladich beobachtet zudem eine „Hemmung, sich in Seminarsitzungen auf angreifbare Weise zu äußern“, wie er auch in seinem Buch „Das Privileg“ schreibt. Viele Studierende reflektierten ihre eigene gesellschaftliche Position und seien geschult in der Analyse von Rassismus, Sexismus, kolonialen Denkmustern, die sie aber in Redebeiträgen nicht reproduzieren wollen, sagt der Erziehungswissenschaftler im Podcast. Produktiv sei dieser Austausch dann nicht mehr, wenn sich Studierende mit einer „Hermeneutik des Verdachts“ beobachten und „im besten Fall nur noch geläuterte Statements“ und „mehr oder weniger unangreifbare Redebeiträge“ formulieren würden.

Warum diese Anforderungen an möglichst sensible Umgangsformen eine intensive wissenschaftliche Debatte blockieren können und welche Schritte für einen produktiven Streit notwendig sind, darüber spricht detektor.fm-Moderator Christian Bollert mit Erziehungswissenschaftler und Philosoph Markus Rieger-Ladich.

Moderation