Verurteilt wegen Homosexualität: Der Paragraf 175 in der BRD

Warum bloßes Bedauern nicht ausreicht

Der Paragraf 175 zählt zu einer der dunkelsten Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte. Mittlerweile ist er abgeschafft. Doch die nach ihm verurteilten Homosexuellen leiden bis heute. Rein rechtlich wurden sie nie rehabilitiert, dabei wäre das dringend notwendig.

Es hat eine Zeit in Deutschland gegeben, in der öffentliche Küsse von zwei Männern oder gar die Annahme, dass sich zwei Männer lieben könnten, gerichtlich verfolgt wurden. Und die ist tatsächlich noch gar nicht so lang her. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 gestrichen, der Homosexualität unter Strafe stellte.

Seitdem klafft nicht nur zwischen Nummer 174 und Nummer 176 im Strafgesetzbuch ein Loch, sondern auch im kollektiven Gedächtnis. Die meisten Menschen wissen gar nicht mehr, dass dieser Paragraf existiert hat, geschweige denn, welche negativen Auswirkungen er bis heute für die Männer hat, die nach ihm verurteilt wurden.

Der Paragraf 175

Der Paragraf war ein Relikt aus der Kaiserzeit. Eingeführt im Jahr 1872 überlebte er nicht nur die Weimer Republik und, wenig überraschend, das NS-Regime, sondern in seiner härtesten Form auch die Gründungsjahre der Bundesrepublik Deutschland. Diese verurteile nach diesem Paragrafen bis 1969 über 50.000 Männer. Und das nur wegen ihrer sexuellen Orientierung.

Ich habe selten mit einer Sache mich befasst, wo einem zwischen den Zeilen allein schon so viel Elend entgegen tritt.  – Martin Burgi, Professor für Öffentliches Recht

Erst unter Bundeskanzler Georg Kiesinger wurde das Leben für homosexuelle Männer, rein rechtlich, leichter. Er ließ 1969 den Paragrafen insofern reformieren, dass Homosexualität unter Erwachsenen nicht mehr verfolgt werden konnte. Endgültig abgeschafft wurde Paragraf 175 jedoch erst 1994 – also lange nach der Wiedervereinigung.

Die Forderung: endlich rehabilitiert werden

Doch auch wenn der Paragraf seit über 20 Jahren abgeschafft ist: rehabilitiert wurden die Verurteilten nie. Dabei setzt sich nicht nur die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit Jahren dafür ein, sondern auch der Bundesrat. Dieser hat bereits 2012 einem Antrag des Landes Berlin zugestimmt, der die Bundesregierung dazu auffordert, die verurteilten Männer zu rehabilitieren und auch zu entschädigen. Passiert ist seitdem allerdings nicht viel.

Es geht nicht darum, dass jeder Einzelne jetzt feste Geldbeträge bekommt, sondern darum, dass der Staat durch eine Gesamtzahlung, etwa an eine Stiftung, in rechtlich relevanter Form dieses Bedauern gewissermaßen zum Ausdruck bringt. – Martin Burgi

Warum sich die Bundesregierung mit dem Thema Rehabilitation bisher so schwer tut, darüber hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit dem Müncher Juraprofessor Martin Burgi gesprochen. Er fordert die Rehabilitierung der Männer, die unter dem Paragrafen 175 verurteilt wurden.

Der Bundestag hat im Jahr 2000 sein Bedauern den Opfern gegenüber zum Ausdruck gebracht und immerhin auch festgestellt, dass er in den Verurteilungen einen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht. Bis heute hat man daraus aber keine rechtlich relevanten Konsequenzen gezogen.Martin Burgi 

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