Russische Kampfflieger über der Türkei: Was treibt das russische Militär?

Mehr als ein Abstimmungsproblem?

Russland, Frankreich, die Türkei – wer in Syrien wen bombardiert, darüber widersprechen sich die Angaben. Doch immer öfter kommt es auch Zwischenfällen: Erst dringt ein russischer Kampfflieger in den Luftraum der Türkei ein und nimmt türkische Jets ungewöhnliche 6 Minuten lang ins Gefechtsradar. Nur Tage später kommen sich amerikanische und russische Flugzeuge gefährlich nahe. Ein Zufall – oder steckt dahinter ein System?

Nachdem sich die NATO-Mitglieder Türkei und Frankreich entschlossen haben, in Syrien Stellungen der Terrormiliz IS zu bombardieren, wird’s langsam prenzlich im Luftraum über Syrien. Denn auch das russische Militär fliegt dort Einsätze.

Gegen wen genau, das ist nicht so ganz klar. Auch gegen den IS, so hieß es erst offiziell. Dann hat Russland eingeräumt, auch Angriffe gegen Rebellengruppen im Bürgerkriegsland zu fliegen – und ist dafür von der Türkei, aber auch Deutschland kritisiert worden. Der Kreml steht dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad nahe, während Ankara die Rebellen unterstützt.

Eigentlich gibt es Regeln und Absprachen für solche Einsätze. Die Flugzeuge fliegen mit angeschaltetem Transponder, der sie identifizierbar macht. Man stimmt Routen und Zeiten vorweg ab. Und man kommt sich über fremden Luftraum nicht ins Gehege.  Eigentlich.

Kampfflieger über Syrien: Vorfälle häufen sich

Erst kürzlich haben US-amerikanische Flugzeuge einen Einsatz abbrechen müssen, um russischen Kampfflugzeugen auszuweichen. US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat danach betont, es äbe keine Zusammenarbeit mit Russland bei den Luftangriffen in Syrien.

Noch ungewöhnlicher ist ein Vorfall aus dieser Woche über der Türkei. Nicht nur war ein russischer Kampfjet in den türkischen Luftraum eingedrungen. Er nahm daraufhin auch noch zwei türkische Jets, die aufgestiegen waren, um den russischen Flieger abzufangen und zu eskortieren, ins Gefechtsradar. Ein extrem ungewöhnlicher Schritt.

Üblicherweise – wenn so etwas überhaupt einmal passiert – funkt man sich an, gibt sich danach Zeichen, identifiziert den fremden Jet und eskortiert ihn danach aus dem fremden Luftraum. Das sogenannte „Beleuchten“ hingegen ist der letzte Schritt direkt vor einem Waffeneinsatz. Dass dieser Schritt gegangen wurde und auch noch für die ungewöhnlich lange Zeit von sechs Minuten, wirft Fragezeichen auf.

Mehr als Abstimmungsproblem?

„Die Türkei geht davon aus, dass Russland solche Konfrontationen wohl teilweise mit Absicht sucht. Die NATO hat ähnliche Erfahrungen über dem Baltikum gemacht.“ – Hans Krech, Militärexperte

Vor rund einem Jahr schon begann Russland, unangekündigt an der NATO-Außengrenze zu fliegen. Damals erklärte uns Hans Krech, Militärstratege an der Führungsakademie der Bundeswehr, eines der möglichen Motive hierfür: Russland sucht quasi die Löcher im Zaun und will die Reaktionszeiten der NATO-Luftwaffen testen.

So wurden im Vorfeld keine Flugpläne bei den NATO-Staaten eingereicht und die Transponder der Maschinen ausgeschaltet. Nur unter diesen Bedingungen kann die Alarmkette der NATO ausgelöst werden. Die russischen Jets könnten dann registrieren, wer wann wie schnell reagiert, ab wann ein anderer Staat die Luftraumüberwachung übernimmt usw.

Die NATO und die Türkei

Lassen sich die aktuellen Vorfälle im Luftraum über Syrien und der Türkei ähnlich lesen? Die NATO jedenfalls erwägt, mehr Truppen in der Türkei zu stationieren. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte zum aktuellen Vorfall, das sehe nicht nach einem Missgeschick aus – und kritisierte Russlands Verhalten als „inakzeptabel, gefährlich und rücksichtslos“.

Über die Vorfälle im Luftraum über und um Syrien hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit Hans Krech gesprochen. Der Militärstratege ist unter anderem Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.

Russland will damit Stärke demonstrieren, die es nicht hat – und will damit nicht nur von der Ukraine-Krise ablenken, sondern hat auch geostrategische Interessen in Syrien.Hans Krech 

Redaktion: Sandro Schroeder

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