Rechtsruck in Österreich: Auf der Suche nach der österreichischen Psyche

„Versuchslabor der Orbanisierung“

Obergrenzen für Asylsuchende, Grenzen dicht, womöglich ein rechtspopulistischer Bundespräsident. Österreich rückt nach rechts. Immer wieder, scheint’s. Ist das irgend ein Ausdruck einer österreichischen Seele? Verlust früherer Größe, Minderwertigkeitskomplexe, die Spätfolgen von Freud, Schnitzler oder fin de siecle? Wir fragen eine Psychoanalytikerin.

Rechtsruck in Österreich

Die letzten Wochen hat Österreich seine Politik gegenüber Flüchtenden nochmals verschärft. Seit die Regierung die Balkanroute geschlossen hat, setzt sich die Abschottungspolitik weiter fort: Höchstens 37.500 neue Flüchtlinge will die Nachbarrepublik in diesem Jahr aufnehmen. Dazu will Österreich die Grenze zu Italien am Brenner mit einer Mauer versehen.

Den Bürgern scheint diese Politik aber noch nicht weit genug zu gehen. Bei den Bundespräsidentenwahlen sind die Kandidaten der Regierungsparteien abgestraft worden. Nach dem ersten Wahlgang hat überraschend Norbert Hofer, der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, vorn gelegen. Mit 35 Prozent der Stimmen sogar recht deutlich, der nächstplatzierte Kandidat Alexander van der Bellen hat nur 21 Prozent erreicht.

Auf der Suche nach der österreichischen Seele

Steckt da irgendetwas ganz tief in der Seele der Österreicher und bohrt vor sich hin? Eine Antwort auf diese Frage hat in den 1980er-Jahren der Psychiater Erwin Ringel versucht. Er hat den Österreichern tiefsitzende Neurosen diagnostiziert, die sie anfällig für den Hass auf Fremde machten. Unterdrückter Selbsthass führe am Ende zum Hass auf Fremde.

Kann man diese Diagnose aus der Sicht der aktuellen Psychoanalyse bestätigen? Gibt es etwas in der Seele der Österreicher, was die Abschottung des Landes erklärt?

Ein politisches, kein seelisches Phänomen

So einfach sei das nicht, sagt die Wiener Psychoanalytikerin Bettina Reiter. Der Versuch, politische Entscheidungen mit etwas wie einer Nationalseele zu erklären, funktioniere nicht:

Dieses selbstverliebte Kokettieren mit der besonderen Zerrissenheit der österreichischen Seele, das ist eigentlich ziemlicher Kokolores. – Dr. Bettina Reiter, Psychoanalytikerin

Der Rechtsruck der Österreicher lässt sich also nicht mit der Psyche der Bürger erklären, aber womit dann? Österreich sei schon immer eine Art Versuchslabor für Europa gewesen, sagt Reiter. In Ihrem Land passiere das, was in Osteuropa längst an der Tagesordnung ist: Sie nennt es, mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten, eine „Orbanisierung“.

detektor.fm-Moderator Alexander Hertel hat mit der Wiener Psychoanalytikerin Bettina Reiter über den Rechtsruck in Österreich gesprochen.

In Österreich ist die Gefahr real, dass nicht nur der Bundespräsident nach rechts fällt, sondern auch die Politik insgesamt sich in diese Richtung entwickelt.Bettina Reiter 
Rechtsruck in Österreich: Ein seelisches Phänomen? Psychoanalytikerin Bettina Reiter im Gesprächhttps://detektor.fm/wp-content/uploads/2016/05/rechtsruck-in-oesterreich-psychoanalyse-bettina-reiter.mp3

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