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Alter Konflikt, neue Generation?

Brennende Autos, verletzte Polizistinnen und Polizisten und Molotowcocktails, die in republikanisch geprägte Gegenden fliegen: In Nordirland kommt es seit zwei Wochen fast täglich zu gewaltsamen Ausschreitungen. Dabei werden die Attacken auch von vielen junge Menschen verübt. Vererbt sich hier ein alter Konflikt auf eine neue Generation?

Nordirland sitzt auf einem Pulverfass. Seit Ende März kommt es in verschiedenen nordirischen Städten zu gewaltsamen Unruhen, wie es sie seit dem Ende des Nordirlandkonflikts in den neunziger Jahren nicht mehr gegeben hat. Auf den Straßen sieht man brennende Autos, die Polizei wird mit Feuerwerkskörpern und Molotowcocktails angegriffen. Historisch standen sich im Nordirlandkonflikt zwei Gruppen gegenüber: protestantische Unionistinnen und Unionisten, die sich dem Vereinigten Königreich verbunden fühlen einerseits und katholische Republikanerinnen und Republikanern, die ein vereinigtes Irland fordern andererseits. An den aktuellen Krawallen sind allerdings sehr viele junge Menschen beteiligt, die den Nordirlandkonflikt selbst gar nicht miterlebt haben.

Der Älteste, der festgenommen worden ist aus den Reihen der Randalierer, ist gerade mal 25 Jahre alt. Das heißt: Er war zwei Jahre alt, als das Karfreitagsabkommen beschlossen wurde. Diese jungen Leute zeigen, dass der Frieden in Nordirland auf ganz unsicheren Beinen steht.

Mareike Graepel, Irland-Korrespondentin für Deine Korrespondentin

Foto: Michelle Schwabe

Brexit und eine Beerdigung

Das Karfreitagsabkommen hat 1998 den Nordirlandkonflikt formal beendet. Zur Entspannung hat auch beigetragen, dass sowohl Irland und Nordirland Teil der Europäischen Union waren. Mit dem Brexit ist allerdings auch Nordirland aus der EU ausgetreten. Für die Region gelten Sonderregeln, die im Nordirlandprotokoll festgehalten wurden: Nordirland gehört faktisch weiterhin zum EU-Binnenmarkt. Das verhindert Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland. Dafür gibt es aber seit dem Brexit eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Vereinigten Königreich. Viele Unionistinnen und Unionisten fühlen sich von London verraten.

Neben dem Brexit hat auch eine Beerdigung die Wut der Unionistinnen und Unionisten entfacht. Im Sommer 2020 wurde das ehemalige IRA-Mitglied Bobby Storey beigesetzt. An der Trauerfeier haben trotz Corona etwa 2000 Personen teilgenommen,  darunter Politikerinnen und Politiker der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein. Doch obwohl sie gegen die Corona-Regeln verstoßen haben, werden sie nicht strafrechtlich verfolgt.

Es sind vor allem junge Leute, die von paramilitärischen Gruppen auf die Straße gebracht werden. Man kann sagen: Sie kriegen eine Bombe in die Hand, die sie dann eben werfen.

Prof. Duncan Morrow, Politikwissenschaftler an der Ulster University

Foto: Ulster University

Kämpft in Nordirland eine neue Generation einen alten Konflikt? Darüber spricht detektor.fm-Moderator Yannic Köhler mit Duncan Morrow, er ist Professor für Politikwissenschaften an der Ulster University. Die Journalistin Mareike Graepel ist Irland-Korrespondentin für Deine Korrespondentin . Sie erklärt, was der Brexit mit den aktuellen Ausschreitungen zu tun hat.