Forschungsquartett | Prähistorische Geschlechterforschung

Der Jäger und die Sammlerin – ein bürgerliches Ehepaar?

Männer jagen und verteidigen, Frauen sammeln Beeren und sitzen mit den Kindern am Feuer – so stellen sich viele die Steinzeit vor. Aber ganz so einfach ist es nicht. Dieses Bild basiert nicht auf wissenschaftlichen Fakten, denn: auch Frauen waren Jägerinnen.

Prähistorische Geschlechterforschung? Ist nicht schon alles gesagt?

Männer lieben Grillen, weil sie diejenigen waren, die in der Steinzeit auf die Jagd gegangen sind. Logisch, oder? Vorurteile wie diese lassen Rückschlüsse auf die Vergangenheit zu, die eigentlich gar nicht wissenschaftlich belegt sind. Der Jäger und seine Frau, die Sammlerin, sind eher eine Projektion als ein wissenschaftliches Faktum. Das westliche Bürgertum legte im 19. Jahrhundert fest, wie eine Familie auszusehen hat und wie die Rollen innerhalb der Familie verteilt sein sollten: Mann = Versorger, Frau = Mutter. Legitimiert wurde diese Vorstellung damit, dass es ja “schon immer so war” und im Grunde auch nicht anders sein könnte, so Brigitte Röder, Archäologin mit Schwerpunkt prähistorische Geschlechterforschung. Dass es dafür keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege gab, spielte keine Rolle.

Heute zeigt die Forschung, wie etwa eine Studie der University of California, dass Frauen wohl ebenso wie ihre männlichen Mitmenschen auf Großwildjagd gegangen sind. Auch Höhlenmalereien – realistische Jagdszenen –, die wahrscheinlich von Frauen angefertigt wurden, lassen diesen Schluss zu. Da diese Szenen so naturalistisch wirken, wird angenommen, dass die Malerinnen bei der Jagd dabei waren und dort die Tiere beobachten konnten. Eine weitere Schwierigkeit bei der Zuschreibung von Geschlechterrollen ist die Tatsache, dass die Prähistorie mehr als drei Millionen Jahre umfasst.

Anzunehmen, dass die Geschlechterrollen oder auch Familienkonzepte in diesem unermesslich langen Zeitraum gleich gewesen seien, ist aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Sicht geradezu absurd. Also wir können nicht von einem Geschlechtermodell ausgehen, sondern wir müssen von Vielfalt, von verschiedenen Konzepten ausgehen.

Brigitte Röder, Archäologin und Professorin für Ur- und Frühgeschichte

Foto: Uni Basel

Wem gehört der Kochtopf?

Die Tatsache, dass es von der Steinzeit keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, erschwert die prähistorische Geschlechterforschung. Hinterlassenschaften wie Scherben oder Kochtöpfe geben noch keine Auskunft darüber, wer sie benutzt hat. Deutlich aufschlussreicher ist daher zum Beispiel die Skelettanalyse: Übt jemand über einen langen Zeitraum eine körperlich anstrengende Tätigkeit aus, zeigt sich die damit einhergehende Veränderung der Muskeln auch am Knochen, wodurch Rückschlüsse auf die Art der Tätigkeit möglich sind. Ebenso interessant ist die pathologische Analyse von Skeletten auf geschlechtsspezifische Unterschiede oder die sogenannte Isotopenanalyse.

Auch interessant sind sogenannte Isotopenanalysen, bei denen man in den Knochen und in den Zähnen Hinweise darauf findet, ob Personen sich zum Beispiel eher vegetarisch ernährt haben oder mit viel tierischem Protein. Und man kann über Isotopenanalysen auch die Mobilitätsgeschichte von Personen rekonstruieren.

Brigitte Röder

Welche Rolle spielen Stereotype in der prähistorischen Geschlechterforschung und wie kann die Archäologie damit umgehen? detektor.fm-Redakteurin Lina Kordes hat mit der Archäologin Brigitte Röder über das Forschungsgebiet und archäologische Methoden gesprochen und detektor.fm-Moderatorin Amelie Berboth davon erzählt.