Als Meister der Rechenkunst ist Niccolò Tartaglia im 16. Jahrhundert in Italien bekannt. Doch eine Formel, seine größte Entdeckung, will er für sich behalten. Sie verschafft ihm einen wichtigen Vorteil in Wettstreiten, die in der Renaissance unter Mathematikern üblich waren.
Niccolò Tartaglia lebt Anfang des 16. Jahrhunderts in Norditalien, wo er als Mathelehrer tätig ist. Er hat einen guten Ruf als Mathematiker und träumt wie viele Mathematiker zu seiner Zeit von einer Anstellung, die mehr Ruhm verspricht. Doch die akademischen Jobs sind rar in der Renaissance und an eine Professorenstelle kommen Mathematiker meist nur, wenn sie über gute Kontakte verfügen oder wenn sie sich besonders gut in Mathematik-Duellen schlagen. In diesen Duellen treten Mathematiker gegeneinander an, indem sie sich jeweils 30 Rechenaufgaben stellen. Wer innerhalb von 40 Tagen zuerst alle Aufgaben gelöst hat, gewinnt — und hat gute Chancen, die Karriereleiter nach oben zu klettern. Zu einem solchen Mathematik-Duell wird Niccolò Tartaglia nun herausgefordert.
Der Herausforderer heißt Antonio Maria del Fiore. Der ist zwar weitaus weniger begabt als Tartaglia — dafür hat er aber mathematisches Wissen seines ehemaligen Lehrers, das Tartaglia nicht hat. Da es als Schande gilt, ein Duell abzulehnen, bleibt Tartaglia keine andere Wahl, als dem Wettstreit zuzustimmen. Die Kontrahenten tauschen also ihre Aufgaben aus. Und was Tartaglia erhält, sind 30 Gleichungen derselben Art, für die damals niemand eine Lösungsformel kennt außer del Fiore. Wochenlang denkt Tartaglia über das mathematische Problem nach — und dann endlich, kurz vor Ablauf der Frist, fällt ihm ein Trick ein, mit dem er alle Gleichungen auf einmal lösen kann.
Die Entdeckung der Formel, mit der er imstande ist, kubische Gleichungen zu lösen, ist Tartaglias Trumpf für kommende Duelle. Nun ist er derjenige, der geheimes mathematisches Wissen hat, mit dem er andere Mathematiker herausfordern kann! Deshalb hütet er diese Formel gut. Auch als ein angesehener Mailänder Arzt mit großem mathematischem Verständnis, Girolamo Cardano, versucht, ihm die Formel zu entlocken, bleibt Tartaglia zunächst hartnäckig.
Cardano bezirzt Tartaglia immer weiter, will in Mailand ein gutes Wort für ihn bei begehrten Arbeitsstellen einlegen, sagt er. Und schließlich knickt Tartaglia ein. Er lässt sich von Cardano versprechen, dass dieser die Formel für sich behält und verrät sie ihm — verschlüsselt in Gedichtform. Es vergehen Jahre — bis etwas passiert, das Cardano sein Versprechen brechen lässt. Er veröffentlicht die Formel, und Tartaglia ist außer sich. Er fühlt sich betrogen. Und als er das nächste Mal zu einem Mathematik-Duell herausgefordert wird, verliert er. Das ist das Ende seiner mathematischen Karriere.
Was ist passiert, dass Cardano es für gerechtfertigt hält, sein Versprechen zu brechen? Welchen Trick hat Tartaglia angewandt, um die Gleichungen zu lösen, die sonst kaum jemand lösen konnte? Und was hat dieser Trick mit der Erfindung der imaginären Zahlen und mit Quantenphysik zu tun? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Charlotte Thielmann, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast ist am MIP.labor entstanden, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.