Der japanische Mathematik-Professor Shinichi Mochizuki empfängt im März 2018 die beiden deutschen Kollegen Peter Scholze und Jakob Stix in Kyoto. Sie sind angereist, um mit dem Japaner einen seit sechs Jahren andauernden Konflikt aus der Welt zu schaffen, der sich um die Frage dreht: Ist es Mochizuki tatsächlich gelungen, die abc-Vermutung zu beweisen?
Shinichi Mochizuki wird 1969 in Tokio geboren. Schon früh zieht seine Familie in die USA, da sein Vater an der renommierten Harvard University eine Stelle annimmt. Mit gerade einmal 16 Jahren beginnt Mochizuki sein Studium an der Princeton University — einer der renommiertesten Universitäten der Welt. Mochizuki hat eine große Begabung für die Mathematik. Sein Mathe-Studium verfolgt er fleißig und diszipliniert, mit 23 hat er seinen Doktortitel — und mit noch nicht einmal 30 Jahren zählt er zur mathematischen Weltspitze.
Trotz seiner Erfolge bleibt Mochizuki ein Einzelgänger. Nach seiner Promotion kehrt er nach Japan zurück und wird Professor am Research Institute for Mathematical Studies in Kyoto. Dort widmet er sich vollkommen seiner Forschung. Interviews? Konferenzen? Einladungen anderer Universitäten? Mochizuki lehnt ab. Stattdessen verbringt er nahezu jede wache Stunde mit Mathematik.
Im Jahr 2012 veröffentlicht er vier Manuskripte auf seiner Website — insgesamt mehr als 500 Seiten lang — und behauptet, damit die abc-Vermutung bewiesen zu haben. Die abc-Vermutung gilt als eines der wichtigsten ungelösten Probleme der Zahlentheorie. Ihre Lösung wäre ein Meilenstein der Mathematik. Doch die Mathe-Community steht vor einer Herausforderung: Niemand versteht Mochizukis Beweisvorschlag. Es dauert Jahre, bis die Mathematiker erste Schlüsse aus der Beweisführung ziehen können.
Nach der Veröffentlichung herrscht zunächst Optimismus. Mochizuki hat nicht nur einen neuen Ansatz, sondern auch eine komplett neue Theorie entwickelt: die „Inter-universelle Teichmüller-Theorie“. Viele hoffen, dass genau diese Neuheit der Schlüssel zum Verständnis der abc-Vermutung sein könnte. Doch diese Hoffnung schwindet mit der Zeit. Die Mathe-Community organisiert Konferenzen, um sich in Mochizukis Arbeiten einzuarbeiten. Doch Fortschritte bleiben aus.
Im März 2018 — sechs Jahre nach Veröffentlichung des Beweisvorschlags — reisen die beiden deutschen Mathematik-Professoren Peter Scholze und Jakob Stix auf Einladung aus Japan nach Kyoto. Eine Woche lang diskutieren sie mit Mochizuki über seinen angeblichen Beweis. Endlich soll geklärt werden: Stimmt der Beweis oder nicht? Sie kommen schließlich zu dem Urteil, dass Mochizukis Beweisführung fehlerhaft ist — und veröffentlichen ihre Begründung.
Warum wird bis heute darum gestritten, ob Mochizuki die abc-Vermutung bewiesen hat oder nicht? Was macht es überhaupt so schwierig, den Beweis nachzuvollziehen? Und was lernen wir daraus über die heutige Mathematik und die Strukturen innerhalb der Community? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Karolin Breitschädel, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast hat Demian Nahuel Goos am MIP.labor entwickelt, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.