Freistunde | “Die Strafanzeige” – ein Hintergrund

Haben britische Politiker und Militärs im Irakkrieg systematisch gefoltert und foltern lassen? Im Januar 2014 ist vor dem Internationalen Strafgerichtshof Anzeige erstattet worden. Kommt es zum Verfahren, stünden zum ersten Mal westeuropäische Entscheidungsträger wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht.

Am 15. September 2003 starb der Iraker Baha Mousa in britischer Gefangenschaft. 36 Stunden wurde er ohne Wasser und Schlaf gefangen gehalten. Er musste in Stresspositionen mit einer Plastiktüte über dem Kopf stundenlang ausharren. Britische Soldaten urinierten auf seinen Körper, schlugen und traten ihn. Als man Baha Mousas Leichnam auf einer Toilette fand, wies dieser über 93 verschiedene Verletzungen auf.

Ein Einzelfall oder systematische Folter?

In einem öffentlichen Baha Mousa Untersuchungsverfahren in Großbritannien wurden 2008 alle Einzelheiten zum Tathergang akribisch aufgearbeitet. Von den sieben Verurteilten wurden sechs freigesprochen. Donald Payne, der die Tat gestanden hatte, wurde wegen „unmenschlicher Behandlung“ zu einem Jahr Gefägnis verurteilt. Baha Mousa war ein „one-off“, ein Einzelfall, wie es hieß.

Es ist ein Mythos, dass das britische Rechtssystem gut funktioniert. – Clive Baldwin, Human Rights Watch, Großbritannien

Ein Demonstrant 

Dass es sich bei Baha Mousa jedoch keineswegs um einen Einzelfall handelt, wollen nun zwei Nichtregierungsorganisationen beweisen. Das European Center for Constitutional Human Rights (ECCHR) in Berlin und die Anwaltskanzlei Public Interest Lawyers (PIL) aus Großbritannien haben über mehrere Jahre hinweg mit über 400 irakischen Häftlichen gesprochen. 250 Seiten an Beweisen legten sie im Januar 2014 dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor und erstatteten Strafanzeige gegen ehemalige Minister, Staatssekretäre und hochrangige britische Militärs:

Es geht bei der Strafanzeige jetzt um Systematik und nicht mehr nur um Exzesse Einzelner. – Andreas Schüller vom ECCHR

Kriegsverbrecher in Den Haag

Bereits 2006 hatte der Internationale Strafgerichtshof, der die schlimmsten Verbrechen der Menschheit, wie Genozid und Kriegsverbrechen ahndet, erwogen ein Verfahren gegen Großbritannien zu eröffnen. Da der Tatbestand des Kriegsverbrechens allerdings einer Systematik und eines politischen Planes bedarf, lies der Strafgerichtshof die Vorwürfe aufgrund der geringen Anzahl an Fällen 2006 fallen.

Iraker 

Die jüngere Geschichte zeigt, wie Regierungen versuchen den Begriff Folter so hinreichend eng zu fassen, dass ihre Taten nicht als Verletzung des absoluten Folterverbots angesehen werden können. Wenn man die Erfahrungsberichten von Folteropfern allerdings liest, vergeht einem die Lust am rechtsphilosophischen Diskurs. – Rainer Mausfeld, Professor für Psychologie

Gleiches Strafrecht für alle Staaten?

Fatou Bensouda 

Ob die Strafanzeige 2014 erfolgreich sein wird, darüber entscheidet die Chefanklägerin Fatou Bensouda. Egal wie die Entscheidung lautet, der Internationale Strafgerichtshof bewegt sich auf einem schmalen Grad der internationalen Politik. Denn internationale Gerichtsbarkeit baut auf Freiwilligkeit und Großbritannien könnte sich der Gerichtsbarkeit Den Haags entziehen und so die Handlungsfähigkeit des Internationalen Stafgerichtshofs schwächen. Gleichzeitig wäre ein Verfahren gegen Großbritannien eine Stärkung des Grundsatzes der Gleichheit aller Staaten. Ein weiterer historischer Schritt wäre die Beendigung der Straffreiheit von höherrangigen westeuropäischen Entscheidungsträgern.

 

Die Strafanzeige – Großbritannien und Folter im Irak: Ein Hintergrund zur internationalen Strafjustiz (30 Minuten)

Regie: Annette Kammerer und Friedemann Ebelt
Redaktion: Sofia Flesch Baldin
Produktion: detektor.fm 2014