Nach der Kohle | Folge 2

Der Ort, den es nicht mehr gibt

150 verlorene Dörfer gibt es im Revier. Eins davon ist Großgrimma. Wieso haben die Großgrimmaer freiwillig ihr Dorf der Kohle geopfert?

150 verlorene Dörfer

Beim Strukturwandel denken viele erstmal an die Zukunft. An erneuerbare Energien, an neue Märkte und innovative Projekte, wie den Flash-Bus in Rackwitz. Aber beim Strukturwandel geht es nicht nur darum, dass Neues kommt. Sondern auch darum, dass Altes geht. 150 verlorene Dörfer sind in den vergangenen 100 Jahren der Braunkohle im Mitteldeutschen Revier gewichen. Eins davon ist Großgrimma an der Grenze zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt. Hier haben Anfang der 1990er Jahre noch 800 Menschen gewohnt. Damit die Kohle unter ihrem Dorf abgebaggert werden konnte, sind sie freiwillig weggezogen. Ulrike Kalteich leitet die Kulturstiftung Hohenmölsen, die sich für die Erinnerung an diese verlorenen Dörfer einsetzt.

Es muss einem bewusst sein: Du kannst deiner Enkeltochter nie zeigen, wo die Oma den Opa zum ersten Mal geküsst hat. Das ist einfach weg, alles weg!

Ulrike Kalteich, Leiterin der Kulturstiftung Hohenmölsen

Foto: Joana Voss

Die Großgrimmaer haben sich entschieden, ihr Dorf freiwillig zu verlassen. Einerseits, weil viele von ihnen selbst in der Kohle gearbeitet haben. Andererseits, weil sie es als Chance wahrgenommen haben. Alle gemeinsam sind sie ins fünf Kilometer entfernte Hohenmölsen gezogen. Dort zeigt Ulrike Kalteich die Großgrimmaer Straße.

Viel Vertrauen in das Bergbauunternehmen

Die Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner von Großgrimma wurde vom Bergbauunternehmen Mibrag organisiert und finanziert. Die alten Häuser im Dorf wurden den Menschen von der Mibrag abgekauft und stattdessen eine neue Siedlung in Hohenmölsen gebaut. So schwer es war, das alte Zuhause aufzugeben, so ging dieser Umzug auch mit einer Verbesserung der Lebensbedingungen einher, die man heute noch sieht.

Die neuen Häuser haben alle eine Fernheizung und tolle Bäder. Einige spöttische Münder nennen diese Siedlung auch Goldstaubsiedlung, weil behauptet wird, die Häuser hätten Marmorbäder und goldene Türklinken, was natürlich nicht stimmt.

Ulrike Kalteich, Leiterin Kulturstiftung Hohenmölsen

In der zweiten Folge des Podcasts „Nach der Kohle“ besucht detektor.fm-Redakteurin Joana Voss gemeinsam mit Ulrike Kalteich von der Kulturstiftung Hohenmölsen eins von 150 verlassenen Dörfern im Mitteldeutschen Revier. Was sagt es über die Bedeutung der Kohle für diese Region aus, dass Menschen bereit waren, ihr Zuhause für sie zu opfern?

„Nach der Kohle“ ist eine zwölfteilige Reportage-Serie vom Podcast-Radio detektor.fm. Neue Folgen erscheinen immer samstags. Der Podcast wird gefördert von der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Alle Folgen gibt es hier bei detektor.fm und unter anderem bei Amazon Music, Apple Podcasts, RTL+ und Spotify.

Moderation