Frankreich | Ausnahmezustand verlängert: Ein Zeugenbericht

Wie sich „Ausnahmezustand“ am eigenen Leib anfühlt

Nach dem Anschlag in Nizza ist der Ausnahmezustand in Frankreich zum dritten Mal verlängert worden. Grundrechte bleiben weiterhin eingeschränkt. Das wirkt sich jedoch nicht nur auf Terroristen aus. Wie schnell man 48 Stunden in Haft sitzt und in zweifelhaftem Verfahren vorbestraft wird, hat ein Berliner Student am eigenen Leib erfahren.

Eigentlich hätte der nach den Terroranschlägen von Paris verhängte Ausnahmezustand im Juli enden sollen. Doch nach dem Attentat in Nizza hat das französische Parlament beschlossen, den Ausnahmezustand um weitere sechs Monate zu verlängern. Die Regierung wollte ihn um drei Monate verlängern, die konservative Opposition hat die doppelte Zeit gefordert.

Ausnahmezustand und Demonstrationsrecht: Grundrechte eingeschränkt

Der Ausnahmezustand wird ausgerufen, wenn einem Land unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung droht. Dieses Notstandsrecht ermöglicht der Regierung weitreichende Befugnisse, um bürgerliche Rechte einzuschränken.

In Frankreich bedeutet das aktuell, dass Ausgangssperren verhängt, der freie Verkehr begrenzt und das Versammlungsrecht außer Kraft gesetzt werden kann. Außerdem dürfen öffentliche Einrichtungen geschlossen sowie Schutzzonen um „gefährdete Orte“ errichtet werden. Damit will man in erster Linie weitere Anschläge verhindern, doch da mittlerweile aus dem Ausnahme- ein Dauerzustand geworden ist, sind auch andere Bereiche der Öffentlichkeit betroffen.

„Es ist de facto illegal, zu demonstrieren“

Einschränkungen spürt vor allem die Nuit-Debout-Bewegung – ein soziales Bündnis gegen die geplanten Reformen des Arbeitsrechts. Da es bei von ihnen veranstalteten Demonstrationen häufig zu Ausschreitungen kommt, nutzt der Staat die Notstandsgesetze, um diese unter Kontrolle zu halten.

Es ist zurzeit in Frankreich de facto illegal zu demonstrieren und sich in Form von Demonstrationen kritisch zu äußern. Man geht das Risiko ein, verprügelt, willkürlich festgenommen und verurteilt zu werden. – Joshua S., Berliner Student und Teilnehmer einer Nuit-Debout-Demo

Bei den Protesten herrscht oftmals massive Polizeigewalt, es kommt immer wieder zu unbegründeten Verhaftungen und manchen Leuten wird die Teilnahme an den Demonstrationen sogar von vorneherein verboten. Diese Taktik der Eskalation und Einschüchterung soll offenbar vor allem andere Bürger davon abhalten, sich den Versammlungen anzuschließen.

Der Berliner Student Joshua S. hat das am eigenen Leib erfahren. Im Rahmen einer Studienarbeit besuchte er als Beobachter eine Nuit-Debout-Demonstration in Paris und wurde dabei verhaftet. Warum das passiert ist und womit sich Demonstrationsteilnehmer in Frankreich derzeit konfrontiert sehen, berichtet er im Interview mit detektor.fm-Moderatorin Sara Steinert.

Ich war 48 Stunden lang in Untersuchungshaft. Die Bedingungen, wie ich sie erlebt habe, sind sehr schlecht. (…) Während dieser 48 Stunden wurde ich zweimal kurz verhört. (…) Einer der Kommissare, der mich verhört hat, hat mir dann gesagt, dass er nicht stolz ist auf das, was er tut, und dass es ihm sehr leid tut – aber es sei eine politische Entscheidung, dass ich so lange festgehalten werde. (…) Und dann gab es einen Prozess, in dem ich auch verurteilt wurde, ohne, dass es Beweise gäbe.Joshua S.