Schafe, Kühe und Ziegen sind zu komplexen Gedanken und Emotionen fähig. Das zeigen Experimente. Fachleute fordern deshalb, unser Verständnis von Tierwohl und Haltung zu überdenken.
Nutztiere haben ein komplexes Innenleben. Lange Zeit wusste man relativ wenig über die kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten von Schweinen, Rindern und Ziegen. Doch aktuelle Forschung zeigt, dass sie emotionale Zustände entwickeln und kognitiv anspruchsvolle Aufgaben bewältigen können.
Früher wurde angenommen, dass tierisches Verhalten rein instinktiv sei. Noch heute fällt es vielen Menschen leichter, sich große Gefühle oder Intelligenz eher bei Hunden, Katzen oder anderen Haustieren vorzustellen. Nutztiere dagegen, das zeigt schon der Name, werden eher nach ihrer „Funktion“ beurteilt: Sie liefern Milch und Fleisch.
Trotzdem gibt es seit Jahren die sogenannten „Fünf Freiheiten“. Das ist ein Leitkonzept zum Tierwohl, das besagt, dass Tiere frei von Hunger, Durst und Mangelernährung sein sollen, ebenso wie von Unbehagen, Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten. Sie sollen angst- und leidfrei leben können und die Möglichkeit haben, ihr natürliches Verhalten auszuleben. Dieses Ideal-Modell dient weltweit als ethischer Maßstab in der Nutztierhaltung.
Doch moderne verhaltensbiologische Untersuchungen zeigen, dass Nutztiere zu komplexeren kognitiven Leistungen imstande sind, als lange angenommen. Sie suchen diese sogar teilweise aktiv. So zeigen Experimente, dass Nutztiere emotionale Zustände wie Freude, Neugier, Angst, Stress, Frustration oder Zufriedenheit erleben. Auch ihren eigenen Körperzustand nehmen sie wahr und erkennen Artgenossen auf Fotos.
Diese Fähigkeiten zeigen, dass Nutztiere nicht nur instinktgesteuert sind, sondern bewusst handeln, lernen und entscheiden können. Sie nehmen ihre Umwelt differenziert wahr und verarbeiten Informationen auf komplexe Weise. Deshalb fordern Fachleute, die „Fünf Freiheiten“ des Tierwohls durch das „Fünf-Domänen-Modell“ zu ergänzen. Letzteres betont auch mentale und emotionale Aspekte.
Nutztiere sind Individuen mit eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen.
Andreas Jahn
Andreas Jahn ist Biologe und Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft. Er erklärt im Gespräch mit detektor.fm-Moderator Marc Zimmer, welche Auswirkungen die Forschungsergebnisse auf unsere Definition von Tierwohl haben und wie die Forschung bei solchen Experimenten vorgeht.